sketch2011.I

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PD Dr. Dr. Renate Huber
Projektidee 2011/1:
Philosophenkino zum Thema:
„Schwarzwald-Kongress“
Redner-Pult, sieben Stühle
Schwarzwald-Hintergrund
Es spielen
1 Vertreter der Tierwelt / Jens
2 Philosophin / Victoria
3 Evolutions-, Neuro- & Sozio-Biologe / Christian
4 Kognitive Ethologin / Marie
5 Kath. Theologe / Chris
6 chairwoman Edda & songwriter Rainer
Jens kommt aus dem „Schwarzwald“, Vortrag: Klage-Rede
Liebe Menschen! Ich – als Vertreter der Tierwelt – begrüße Sie sehr
herzlich und eröffne hiermit den Schwarzwald-Kongress. Ich bedanke
mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Ich freue mich sehr, dass
zumindest einige Menschen überhaupt geneigt sind, die verzweifelten
Klagen der Tierwelt endlich zur Kenntnis zu nehmen. Und ich hoffe, dass
viele Menschen unser inständiges Flehen um ein wohlwollendes und
fürsorgliches Verhalten gegenüber uns Tieren erhören.
Ich habe Sie zu einem Kongress in den Schwarzwald eingeladen, um mit
Ihnen ein sehr schwieriges und besonders heikles Problem zu diskutieren,
das bei uns in der Tierwelt Anlass zu wachsender Besorgnis gibt. Wir – die
Tiere – werden von den Menschen systematisch in unseren kognitiven
Fähigkeiten unterschätzt und folglich schlecht behandelt, ausgebeutet,
gequält und zunehmend sogar ausgerottet. Das Thema unseres Kongresses
soll daher lauten: der Vergleich der kognitiven Fähigkeiten von Tieren und
Menschen. Wir – die Tiere – wollen die Menschen nachdrücklich darauf
aufmerksam machen, dass viele Tierarten nicht nur über verschiedene
Intelligenzformen, sondern auch über differenzierte Bewusstseinsformen
verfügen. Insbesondere aber haben auch wir ein phänomenales
Bewusstsein, das uns empfindungsfähig und damit leidensfähig macht. Wir
hoffen daher inständig, dass die Menschen – wenn sie erst einmal begreifen,
dass wir eigentlich Verwandte sind – einen einfühlsameren Umgang mit uns
pflegen. Wenn die Menschen darüber hinaus auch noch beherzigen, dass
wir alle von einer intakten und vielfältigen Natur abhängig sind, dann
besteht sogar eine zaghafte Hoffnung, dass die Menschen zukünftig ihre
vernunft-widrige Ausplünderung und Verwüstung der Erde unterlassen.
Ich klage die Menschen daher an: Die Menschen nehmen sich das Recht
heraus, sich ungebremst auf dieser Erde zu vermehren. Sie denken gar
nicht erst darüber nach, dass die explosionsartige Zunahme auf nun
beinahe sieben Milliarden Menschen für uns Tiere katastrophale
Auswirkungen hat. Sie klassifizieren uns nach der jeweiligen
Verwendungsweise, die sie für uns vorgesehen haben und sie belegen uns
mit Kennzeichnungen wie „Nutztiere“, „Kuscheltiere“, „Wildtiere“ usw.
Sie betrachten uns dann als Sachen, mit denen sie nach ihren Vorlieben und
Zwecken verfahren können.
Die Menschen begrenzen den Lebensraum der „Wildtiere“, so dass immer
mehr Tierarten vom Aussterben bedroht sind. Raffgierig plündern sie die
Ressourcen der Erde und sie vergiften die Natur mit Ihrem Müll, so dass
wir Tiere zunehmend an schweren Krankheiten leiden. Bei besonders
großen, durch die Technik verursachten Katastrophen – wie etwa der
Reaktorunfall in Japan 2011 oder der Tiefwasserbohrunfall im Golf von
Mexiko 2010 – sind die Wildtiere völlig schutzlos den unermesslichen
Verwüstungen ihres Lebensraumes ausgesetzt.
Aber auch die Tiere, die die Menschen in Ihrer Klassifizierung als
„Kuscheltiere“ betrachten, haben durchaus kein art-gerechtes Leben. Es
sind dies hauptsächlich Katzen, Hunde, Ziervögel und andere pelzige oder
gefiederte Lebewesen, die die Menschen zu ihrem eigenen Wohlbefinden
halten. Diese Tiere werden nach den besonderen Vorstellungen der
Menschen gezüchtet und dann in Stadtwohnungen oder gar Käfigen
gehalten, wo sie sich fast zu Tode langweilen.
Besonders schlecht ergeht es den Tieren, die die Menschen mit dem
hässlichen Wort „Nutztiere“ bezeichnen. Sie werden rücksichtslos
vermehrt, optimiert, gequält und ausgebeutet. Eine unbarmherzige
Massentierhaltung, gnadenlose Tiertransporte und grausame Tierversuche
sind an der Tagesordnung. Schlimmste Qualzüchtungen erhöhen das
Potential der Ausbeutung und diese brutalen Optimierungen unterliegen
den strengen Nutzenkalkulationen der Menschen. Sie rechtfertigen ihr
Vorgehen mit ökonomischen Notwendigkeiten und verschleiern damit nur
ihre unersättliche Gier nach immer mehr Konsum.
Die Menschen behaupten, unter Berufung auf einen Gott, dass sie eine
Sonderstellung unter allen Lebewesen einnehmen. Wir – die Tiere – kennen
diesen Gott nicht. Zu keiner Zeit wurde uns von einem Gott mitgeteilt, dass
es sein göttlicher Wille sei, dass die Menschen uns ausbeuten. Wir glauben,
dass die Menschen diesen Gott bloß erfunden haben, um ihr eigenes
hartherziges Tun als Bestandteil einer gottgestifteten Ordnung zu
legitimieren. Die Menschen sind in ihrer eigenartigen Selbstüberschätzung
davon überzeugt, dass sie – im schroffen Gegensatz zu uns Tieren –
vernunft-fähig und moral-fähig sind. Ihr tatsächliches Verhalten aber
spricht eine ganz andere Sprache. Völlig vernunft-widrig plündern und
verwüsten sie die Erde und damit auch ihre eigene Lebensgrundlage. Aus
der Perspektive der Tiere sind viel zu viele Menschen viel zu oft
unbarmherzig, gnadenlos, egoistisch und brutal.
Ich frage Sie – die geschätzten Teilnehmer dieses Kongresses – daher in
aller Bescheidenheit: Warum zerstören Sie die Natur? Warum
vermenschlichen oder verdinglichen Sie die Tiere? Warum respektieren Sie
uns nicht als Tiere mit unseren je art-eigenen Empfindungen und
Bedürfnissen? Vielleicht stehen uns ja – nach Ihrer Menschen-Justiz –
keine Tierrechte zu, aber dürfen wir aufgrund unseres VerwandtschaftsVerhältnisses nicht wenigstens auf etwas mehr Rücksichtnahme und
Wohlwollen hoffen?
Jens setzt sich auf den Stuhl, links vorne
Chris kommt, Vortrag: kath. Theologie
Liebe Geschöpfe unseres himmlischen Vaters! Lasset uns den Herrn loben
und preisen! Geheiligt werde sein Name und sein Wille geschehe! Amen!
Ich – als katholischer Theologe – nehme mit großer Verwunderung die
Klagen der Tierwelt zur Kenntnis. Die höchst sonderbare VerwandtschaftsThese, die der Vertreter der Tierwelt soeben vorgetragen hat, kann ich nur
mit einem verständnislosen Kopfschütteln quittieren. Gewiss! – Uns alle hat
unser himmlischer Vater in seiner grenzenlosen Güte und zu seinem ewigen
Ruhme erschaffen. Folglich stehen wir alle in einem höchst
bewunderungswürdigen Schöpfer-Schöpfungs-Verhältnis. Aber dies
begründet keineswegs ein Verwandtschafts-Verhältnis zwischen Mensch
und Tier. Ein Mensch-Tier-Vergleich ist daher völlig abwegig, weil es Gott
in seiner unerforschlichen Güte gefallen hat, allein dem Menschen ein
Selbst-Bewusstsein und sogar ein Transzendenz-Bewusstsein zu verleihen.
Tiere hingegen verfügen nicht über diese besonderen Gaben. Wie ich der
Klage-Rede entnehme, wollen die Tiere ernsthaft unseren gottgewollten
Anspruch auf Sonderstellung unter allen Lebewesen in Zweifel ziehen.
Doch ich frage: Ist das wirklich Gottes Wille?
Besonders verwerflich ist allerdings die Unterstellung, dass wir Christen
uns auf einen angeblich selbst erfundenen Gott berufen. – So jedenfalls
wird dies in der Tierwelt behauptet. Ich möchte diese ungeheuerliche
Unterstellung nachdrücklich zurückweisen und unseren gottgestifteten
Herrschaftsanspruch verteidigen. Die heilige Schrift hat die hierarchischen
Verhältnisse der Lebewesen höchst selbst zum Ausdruck gebracht, wenn
wir in Genesis 9.1-3 lesen: Und Gott segnete Noah und seine Söhne und
sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde. Furcht und
Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln
unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über
allen Fischen im Meer. In eure Hände seien sie gegeben. Alles, was sich regt
und lebt, das sei eure Speise. Auch Psalm 8.5-7 belegt nachdrücklich die
Sonderstellung des Menschen, wenn der Psalmist an Gott die Frage richtet:
Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? – Du hast ihn wenig niedriger
gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast
ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine
Füße getan. Diese Bibeltexte belegen mit aller wünschenswerten Klarheit
die gottgestiftete Sonderstellung des Menschen unter allen Lebewesen.
Unsere heilige Kirche folgt seit 2000 Jahren dieser gottgewollten Tradition.
Der Kirchenlehrer Origenes schreibt sinngemäß: Wir Christen, die wir den
allmächtigen und allgütigen Gott als den Schöpfer aller Dinge verehren,
stellen die Menschen als vernünftige Lebewesen über die unvernünftigen
Tiere. Wir behaupten, dass die göttliche Vorsehung um der vernünftigen
Menschen willen alles hervorgebracht hat. Auch der heilige Augustinus
schreibt: Wenn wir in der Bibel lesen: ‚Du sollst nicht töten’, nehmen wir
nicht an, dass sich dies auf Pflanzen bezieht, und zwar weil sie keine
Empfindung besitzen. Ebenso wenig nehmen wir an, dass damit
vernunftlose Tiere gemeint sind, ob sie nun fliegen, schwimmen, laufen oder
kriechen, weil sie uns durch den Mangel an Vernunft nicht zugesellt sind.
Darum hat auch die gerechteste Anordnung des Schöpfers ihr Leben und
ihr Sterben unserem Nutzen angepasst. So bleibt also nur, das Verbot der
Tötung einzig auf den Menschen zu beziehen. Schließlich findet auch
Thomas von Aquin in dieser Angelegenheit eindeutige Worte. Auf die
Frage, ob es Sünde ist, Tiere zu töten, antwortet er unmissverständlich:
Keiner sündigt, indem er eine Sache zu dem verwendet, wozu sie bestimmt
ist. In der Ordnung der Lebewesen aber sind die unvollkommenen wegen
der vollkommenen da. Die Tiere und Pflanzen haben nicht das Vermögen
der Vernunft. Das ist ein Zeichen dafür, dass sie zum Dienste und zum
Gebrauch bestimmt sind. Wer das Schaf oder Rind eines anderen tötet,
sündigt zwar, doch nicht, weil er ein Tier getötet hat, sondern weil er einen
Menschen an seinem Eigentum geschädigt hat. Deshalb fällt dies nicht
unter die Sünde des Tötens, sondern unter die Sünde des Diebstahls. Somit
ist der Wille Gottes hinreichend durch die beiden folgenden Thesen
kundgetan: Erstens die imago-dei-These: Der Mensch ist das Ebenbild
Gottes. Zweitens die dominum-terrae-These: Der Mensch ist von Gott zur
Herrschaft über die Tiere bestimmt.
Und dennoch gilt: Gerade wir Christen rufen stets auf zur „Bewahrung der
Schöpfung“. Wir glauben, dass wir Menschen – als moral-fähige Wesen –
berufen sind, unsere Herrschaft über die Tiere in besonderer
Verantwortung vor Gott auszuüben. Die heilige Kirche legt daher ihr
besonderes Augenmerk darauf, die Welt so, wie sie von Gott erschaffen
wurde, auch für spätere Generationen zu erhalten. Gewiss! – Eine
vernunft-widrige Ausplünderung und Verwüstung der Erde entspricht
nicht dem Willen Gottes. Insofern unser Verhalten hier ganz offensichtlich
beträchtliche Defizite zeigt, begreifen wir uns als Sünder, die einer
Erlösung bedürftig sind. Der Herr erbarme sich unser! Amen!
Gestatten Sie mir zum Schluss meines Vortrages noch meine ganz
persönliche Betroffenheit hinsichtlich der Umweltkatastrophen von 2010 im
Golf von Mexiko und 2011 in Japan zum Ausdruck zu bringen. Ich trauere
um die menschlichen Opfer und um den Verlust des vielfältigen Lebens in
der Tierwelt. Mit allem Nachdruck möchte ich betonen, dass ich Gott
inbrünstig im Gebet um Hilfe anflehe. – Aber mit unserem Herrn Jesus
Christus wollen wir sprechen: Himmlischer Vater, nicht wie wir wollen,
sondern wie du willst. Dein Wille geschehe! Amen!
Chris geht
Victoria kommt, Vortrag: Moralphilosophie
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Vertreter der Tierwelt.
Menschen und Tiere lassen sich grundsätzlich nicht in eine gemeinsame
Klassengemeinschaft einfügen. Sie sind – ontologisch gesehen – nicht
vergleichbar und in dieser Perspektive nicht als Subjekte mit einem eigenen
moralischen Status zu bestimmen. In dieser Frage stimme ich daher
ausdrücklich meinem Kollegen aus der Theologie zu. Allerdings möchte ich
eine andere Begründung für die Sonderstellung des Menschen vortragen.
Bevor ich meine moral-philosophische Begründung entfalte, möchte ich
aber zunächst das theologische Argument entkräften. Ich bin nicht davon
überzeugt, dass sich die imago-dei-These und die dominum-terrae-These
tatsächlich begründen lassen. Um überhaupt beurteilen zu können, ob der
Mensch ein Ebenbild Gottes ist, müsste zuallererst das Wesen Gottes
bekannt sein. Nach Kant ist Gott jedoch kein Erkenntnisgegenstand. Auch
ist es sicherlich nicht sehr überzeugend, so folgenreiche Thesen bloß durch
den Verweis auf bestimmte Autoritäten zu begründen. Zu Recht könnte der
Vertreter der Tierwelt darauf beharren, dass ihm alle genannten
Autoritäten – Bibelschreiber, Origenes, Augustinus und Thomas von Aquin
– gar nicht bekannt sind. Und er könnte sagen, dass sich auch andere
Autoritäten – etwa David Hume, Jeremy Bentham und Peter Singer –
benennen lassen, die in dieser Angelegenheit ganz anders geurteilt haben.
Es ist die genuine Aufgabe der Moralphilosophie, das Verhältnis von
Mensch und Tier zu bestimmen – und zwar verstanden als ein
Rechtsverhältnis. Ich möchte nun mit guten philosophischen Gründen für
die These der Sonderstellung des Menschen argumentieren. Bereits der
Philosoph Kant schrieb sinngemäß: Als der Mensch das erste Mal zum
Schafe sagte: ‚Den Pelz, den du trägst, hat dir die Natur nicht für dich,
sondern für mich gegeben’ und ihm diesen Pelz abzog, um ihn sich selbst
anzulegen, sprach er sich selbst ein Recht zu. Das Recht nämlich, über die
Tiere zu herrschen und sie als Mittel zur Erreichung seiner beliebigen
Absichten anzusehen. Auch der Philosoph Hegel macht die Rechtslage
deutlich, wenn er schreibt: Die Tiere haben kein Recht auf ihren Körper.
Ich möchte in dieser Sache nicht missverstanden werden. Es geht mir nicht
darum, auf weitere Autoritäten zu verweisen. Ich will aber das moralphilosophische Argument der Selbst-Gesetzgebung hervorheben. Der
Mensch allein besitzt Moralität und nur er ist befähigt, sich selbst Pflichten
aufzuerlegen. Dieser Sachverhalt schließt den Gedanken des Gegensatzes
von Mensch und Tier ein, wie Kant weiter ausführt: Dass der Mensch ein
Ich-Bewusstsein haben kann, erhebt ihn unendlich über alle anderen
Lebewesen. Dadurch ist er eine Person und ein von Sachen, dergleichen die
vernunftlosen Tiere sind, mit denen man nach Belieben schalten und walten
kann, durch Rang und Würde ganz unterschiedenes Wesen. Der Mensch
verpflichtet sich selbst, dass er so etwas zu keinem Menschen sagen dürfe.
Es geht hier also – um das Argument nochmals in aller Deutlichkeit zu
betonen – um ein Rechtsverhältnis, genauer um eine Selbst-Verpflichtung.
Nur der Mensch ist eine Person und damit ein Rechtssubjekt, dem Rechte
zugesprochen und Pflichten auferlegt werden können. Ich verstehe dies im
Sinne einer hobbesschen Vertrags-Ethik oder im Sinne einer kantischen
Pflichten-Ethik. Damit ist der vernünftige Mensch – im Unterschied zum
Tier – ein Selbst-Gesetzgeber, der befähigt ist, Normen aufzustellen und
sich in Freiheit an seine Gesetze zu binden. Diese Selbst-Verpflichtung ist
aber eine kulturelle Leistung, die kein Analogon in der Natur aufweist.
Kommen wir nun zur nächsten Frage: Ist eine Rückbindung der
normativen Ebene an eine deskriptive Ebene erforderlich? Die Antwort
lautet: Wir müssen es zwar nicht, aber wir können es mit guten Gründen
tun. Es kann hilfreich sein, Wissen über die Möglichkeiten und Grenzen
der menschlichen Lebensform zu berücksichtigen, um sich nicht in einem
moralischen Utopismus zu verlieren. Dieses Wissen kann nur von der
philosophischen Anthropologie bereitgestellt werden und bezieht sich auf
unsere Fähigkeit zur Reflexion als Grundlage der Moralität. Bedingungen
für das Reflexions-Bewusstsein sind – abgesehen vom Sprachvermögen –
das phänomenale und intentionale Bewusstsein, das Selbst-, Zukunfts- und
Todes-Bewusstsein. Diese verschiedenen Bewusstseinsformen lassen sich
nur aus der 1-Person-Perspektive erfassen. Die exakten Wissenschaften
müssen sich aber zwangsläufig auf die 3-Person-Perspektive beschränken
und damit sind sie prinzipiell ungeeignet für die Erforschung von
Bewusstseins-Phänomenen. Die Philosophie des Geistes hat es schon immer
gewusst und schon immer behauptet: Der Menschen ist kein
Forschungsgegenstand wie jeder andere. Anthropologie ist ihrem Kern
nach Selbst-Begegnung.
In der philosophischen Tradition war und ist der Mensch der Mittelpunkt
des Denkens. Eine kritische Tierphilosophie kann keine Philosophie aus der
Perspektive der Tierwelt sein, sondern sie kann immer nur eine Philosophie
über unsere Vorstellungen von der Tierwelt sein. Philosophisch gesicherte
Aussagen über die Tierwelt können sich prinzipiell nur aus der AußenPerspektive auf das Verhalten beziehen. Die Frage, ob Tiere überhaupt eine
Innen-Perspektive haben, übersteigt unsere epistemischen Grenzen. Alle
Belege für die Empfindungsfähigkeit der Tiere bleiben letztlich ungesichert.
Es führt unweigerlich in die Sackgasse eines bloß spekulativen
Anthropomorphismus, wenn die menschlichen kognitiven Fähigkeiten als
Vergleichspunkte für den Aufbau einer Bewusstseins-Theorie für Tiere
herhalten sollen. Ich möchte daher abschließend in aller Deutlichkeit sagen:
Ich halte das Thema dieses Kongresses für völlig verfehlt.
Victoria geht
Christian kommt, Vortrag: ENS-Biologie
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen. Menschen und komplex
organisierte Tiere sind bio-psycho-soziale Lebewesen und folglich sehr wohl
vergleichbar. In dieser Frage stimme ich – als Biologe – den Vertretern der
Unvergleichbarkeits-These aus der Theologie und der Philosophie
keineswegs zu. Im Gegenteil: Ich behaupte, dass es zwischen Menschen und
komplex organisierten Vögeln und Säugetieren keinen prinzipiellen
Unterschied gibt. Meine Vergleichbarkeits-These möchte ich im Rückgriff
auf den empirischen Befund mit drei grundlegenden Argumenten aus der
Evolutions-, der Neuro- und der Sozio-Biologie verteidigen:
1. Das evolutionsbiologische Argument besagt, dass der Mensch – wie jedes
andere Tier auch – eine evolutionäre Entwicklung durchlaufen hat. Die
evolutionären Mechanismen sind für alle Lebewesen gleich. Mag es auf der
Phänomen-Ebene auch diverse Unterschiede zwischen Mensch und Tier
geben, in den zugrunde liegenden Mechanismen finden wir nur
Übereinstimmung. Die wichtigsten evolutionären Antriebe sind die Selbstund Gen-Erhaltung. Auch die evolutionären Mechanismen sind stets die
gleichen: Es geht um Mutation, natürliche Selektion, sexuelle Selektion,
Exaptation und andere Mechanismen, an deren Entschlüsselung wir
Biologen seit 150 Jahren mit großem Erfolg arbeiten. Es gibt nicht den
kleinsten Hinweis, dass eine Sonderstellung des Menschen vorliegt.
2. Im neurobiologischen Argument geht es um die gehirn-internen
Verarbeitungsmechanismen. Komplex organisierte, sozial lebende Tiere
verfügen über intuitive Ontologien und intuitive Soziologien, die es ihnen
ermöglichen, ihren Lebensalltag und ihr tierliches Zusammenleben
erfolgreich zu meistern. Sie können dies, weil sie über ein natürliches, vorsprachliches Wissen verfügen, das für alle praktischen Zwecke völlig
ausreicht. Jedenfalls benötigen sie keine syntaktisch strukturierte Sprache.
Auch der Mensch organisiert seinen Lebensalltag vorwiegend im Rückgriff
auf diese intuitiven Verarbeitungsmechanismen. Die Vertreter der
Unvergleichbarkeits-These müssten explizit zeigen, welcher völlig neuartige
neurobiologische Mechanismus als Korrelat höherer Bewusstseinsformen
ausschließlich beim Menschen vorliegt.
3. Das soziobiologische Argument besagt, dass die wichtigste Grundlage für
jeden erfolgreichen sozialen Zusammenhalt im reziproken Altruismus liegt.
Hier geht es um ein Kosten-Nutzen-Verhältnis. Nicht nur sozial lebende
Tiere, sondern auch Menschen organisieren ihre Sozietäten nach diesem
Naturprinzip. Der reziproke Altruismus fordert einen gewissen Verzicht
auf den unmittelbaren eigenen Vorteil. Menschen und Tiere leisten diesen
Verzicht immer dann, wenn ihre eigenen Bedürfnisse besser durch
Kooperation befriedigt werden können.
Ich möchte alle Theologen und Philosophen auffordern, den Befund aus der
Evolutions-, der Neuro- und der Sozio-Biologie endlich zur Kenntnis zu
nehmen. Verlassen Sie Ihren natur-fernen Sessel, in dem Sie immerzu
herumsitzen, um Ihren sonderbaren Hirngespinsten nachzuhängen, die mit
den Bedingungen der Natur einfach gar nichts zu tun haben! Sollten wir
hier soweit Konsens erzielen, dann können wir uns nachgeordnet auch
ethischen Fragen zuwenden. Hier müssen wir feststellen, dass es in der
Natur weder eine Vertrags-Ethik noch eine Pflichten-Ethik gibt. Insofern
stimme ich meiner Kollegin aus der Philosophie zu. Aber! – Und nun
komme ich zu einem wichtigen Punkt: Diese famosen Ethiken gibt es auch
nicht als wirksame Handlungsmotive beim Menschen. Diese Ethik-Utopien
existieren nur als drollige Hirngespinste verspielter Moralphilosophen. Die
Natur ist moralisch indifferent. Sie ist frei von Verträgen und Pflichten.
Das moral-philosophische Argument der Selbst-Verpflichtung besagt doch
– bei Lichte betrachtet – lediglich dies: Wir geben uns selbst genau die
moralischen Gesetze, die wir immer schon durch eine natürliche Neigung
bevorzugen. Menschen mit großer Sympathie für Tiere und geringer
Neigung zum Fleischverzehr, werden für schärfere Tierschutzgesetze
plädieren. Menschen mit geringer Zuneigung zu Tieren, aber ausgeprägter
Fleischeslust werden eher Argumente gegen Tierschutzgesetze suchen.
Menschen, die mit Tierfabriken viel Geld verdienen, werden vehement
gegen jedes noch so klitze-kleine Tierschutzgesetzchen streiten.
In dieser Perspektive ist die Klage-Rede des Vertreters der Tierwelt völlig
unberechtigt. Biologisch gesehen ist allein die Tier-Pflanze-Differenz von
Bedeutung und keineswegs eine Mensch-Tier-Differenz. Wir begreifen
Tiere im Unterschied zu Pflanzen hinsichtlich ihrer typischen
Ernährungsweise und ihrer dominierenden Nahrungsquelle. Pflanzen sind
Lebewesen, die ihre organischen Bestandteile aus anorganischen Stoffen
und Licht aufbauen. Tiere hingegen – und dazu gehören auch Menschen –
decken ihren Energiebedarf dadurch, dass sie andere Lebewesen
vernichten. Sie sind entweder Herbivoren – also Pflanzenfresser –,
Karnivoren – also Fleischfresser – oder Omnivoren – also Allesfresser.
Damit ist klar: Pflanzen sind vorwiegend autotrophe Lichtesser. Tiere
hingegen sind heterotrophe Energieräuber. Diese energetische
Charakterisierung ist die unaufhebbare biologische Bedingung aller
Lebewesen. Ich frage daher den Vertreter der Tierwelt: Ernährst Du dich
etwa nicht auch von anderen Lebewesen – sogar von anderen Tieren? Und
weiter: Gelegentlich kommt es vor, dass Tiere – denken wir etwa an Haie
oder Bären – Menschen anfallen und töten. Geschieht dies etwa nicht nach
dem gleichen Naturprinzip, nach dem auch der Mensch die Tiere tötet? Ich
verstehe folglich die Klage-Rede des Vertreters der Tierwelt nicht.
Christian geht
Marie kommt, Vortrag: Kognitive Ethologie
Liebe Tiere! Mit tiefem Mitgefühl habe ich die sehr berechtigten Klagen
des Vertreters der Tierwelt vernommen und mit einigem Erstaunen habe
ich die bisherigen Vorträge zur Kenntnis genommen. Es liegt in der
Tradition der Menschen, dass sie Tiere belächeln. Noch heute gibt es
Menschen, die überheblich auf die vermeintlich defizitären kognitiven
Fähigkeiten der Tiere herabblicken. Es ist daher an der Zeit, dass die
Kognitive Ethologie – die ich hier vertrete – diesem herabwürdigenden
Treiben entschieden ein Ende setzt. Ich kann dem Vertreter der Tierwelt
nur nachdrücklich zustimmen, wenn er behauptet, dass die Tiere
systematisch in ihren kognitiven Fähigkeiten unterschätzt werden. Und ich
schließe mich auch dezidiert seiner Einschätzung an, dass Menschen und
Tiere in einem sehr engen Verwandtschafts-Verhältnis stehen. Diese
Verwandtschafts-These möchte ich im Rückgriff auf die Ergebnisse der
neueren Kognitiven Ethologie mit folgenden Argumenten verteidigen:
1. Zunächst geht es um das schwierige Unternehmen, den empirischen
Befund über das tierliche Verhalten zu erheben und angemessen zu deuten.
In aller Eindringlichkeit möchte ich darauf verweisen, dass die Kognitive
Ethologie von Donald Griffin vor ca. 40 Jahren begründet wurde und
seither als eigenständige wissenschaftliche Disziplin besteht. Folglich dürfte
unmittelbar einsichtig sein, dass der empirische Befund sowohl in seiner
phänomen-bezogenen Breite als auch in seiner theorie-bezogenen Tiefe
noch ausgesprochen lückenhaft ist. Auf der Grundlage dieses defizitären
Kenntnisstandes kann und darf keineswegs geschlossen werden, dass in der
Tierwelt die verschiedenen Bewusstseinsformen, die dem Menschen
exklusiv zugesprochen werden, tatsächlich nicht vorkommen. Wir stehen
hier erst am Anfang der Forschung. Auf dieser schmalen Datenlage lassen
sich noch keine gesicherten Aussagen über das Tier-Bewusstsein machen.
2. Hier sind folglich tiefer gehende Forschungen erforderlich, um sich ein
wirklich zutreffendes Bild von den kognitiven Fähigkeiten in der Tierwelt
verschaffen zu können. Aber schon jetzt lässt sich zumindest eine
eindeutige Forschungs-Tendenz erkennen: Je länger wir forschen, desto
eindrucksvoller vermehren sich die Indizien dafür, dass in der Tierwelt
hoch entwickelte kognitive Fähigkeiten zu finden sind, die wir bisher den
Tieren niemals zugetraut hätten. Ich denke da zuallererst an bestimmte
Formen der Rationalität, sowohl im Sinne von Ursache-WirkungsRelationen als auch im Sinne von Zweck-Mittel- Relationen. Des Weiteren
finden wir aber auch Vorformen der Moralität im Sinne einer Fähigkeit
zur Empathie und Rücksichtnahme. Es gibt sogar bemerkenswerte
Hinweise auf ein gewisses Todes-Bewusstsein. Dies sind wichtige Indizien
für ein sehr enges Verwandtschafts-Verhältnis zwischen Menschen und
Tieren und zwar gerade auch im Hinblick auf kognitive Fähigkeiten.
3. Bewusstseinsphänomene sind vielschichtig. Es ist wichtig, vorab zu
bedenken, wonach sinnvoll gefragt werden kann. Es ist unsinnig,
epistemische Forderungen zu stellen, die prinzipiell nicht erfüllbar sind.
Metaphorisch können wir fragen: Gibt es Fenster zum Tier-Bewusstsein?
Die Kognitive Ethologie antwortet hier differenziert: Es gibt Fenster, die
prinzipiell verschlossen sind. Damit ist das phänomenale Bewusstsein
gemeint. Die individuelle Erlebens-Perspektive muss ausgeklammert
werden, weil sie tatsächlich nicht direkt zugänglich ist. Aber! – Es gibt auch
Fenster, die durch möglichst unvoreingenommene Forschungen weit
geöffnet werden können. Hier verweise ich insbesondere auf die
Erforschung der strukturellen und funktionalen Bedingungen für TierBewusstsein aus der 3-Person-Perspektive. Ein hoch interessanter Beleg für
diese Option ist Rizzolattis Entdeckung der Spiegelneuronen bei Affen.
4. Ich weiß, dass an diesem Punkt meiner Argumentation die Kollegin aus
der Philosophie den Anthropomorphismus-Vorwurf vortragen wird. Ich
will daher im Folgenden mit dem Speziesismus-Vorwurf kontern.
Bewusstseinsformen sind nur aus der 1-Person-Perspektive erfahrbar. Die
Introspektion belehrt uns über unsere eigenen Bewusstseinszustände. Wir
haben keinen direkten epistemischen Zugang zu den Bewusstseinsformen
anderer Lebewesen. Mit Blick auf unsere Mitmenschen bedienen wir uns
folglich eines Analogieschlusses, um zu der Behauptung zu gelangen, dass
auch sie über Bewusstsein verfügen. Wir tun dies hauptsächlich deshalb,
weil wir das differenzierte Verhalten anderer Menschen ohne Annahme
einer Innen-Perspektive gar nicht erklären könnten. Folglich sind wir
überzeugt, dass der Analogieschluss berechtigt ist. Bezüglich der Tierwelt
scheinen wir uns allerdings in einer Sackgasse zu befinden. Da wir nicht
wirklich begreifen, was Bewusstsein ist, wissen wir auch nicht verlässlich,
ob und welche Bewusstseinsformen in der Tierwelt vorkommen. Das
bedeutet – so das Argument gegen den Anthropomorphismus –, dass wir
nicht berechtigt sind, den Analogieschluss auf die Tierwelt auszudehnen.
Umgekehrt folgt aber auch, dass wir nicht berechtigt sind, der gesamten
Tierwelt alle Bewusstseinsformen rigoros abzusprechen. Es gibt noch heute
Philosophen – ich denke an Donald Davidson, Peter Carruthers und
Raymond Frey –, die behaupten, dass prinzipiell kein Tier über eine InnenPerspektive verfügt. Ich stelle hier mit allem Nachdruck fest: Wenn das
Zuschreiben einer Innen-Perspektive unsere epistemischen Grenzen
tatsächlich überschreitet, dann gilt dies folgerichtig auch für das
Absprechen einer Innen-Perspektive. Wer dies dennoch tut, muss sich den
Speziesismus-Vorwurf gefallen lassen.
5. Die Frage, ob Tiere eine Innen-Perspektive haben, übersteigt unsere
epistemischen Grenzen. So jedenfalls behauptete dies zuvor die Kollegin
aus der Philosophie. Das Argument überzeugt mich allerdings nicht ganz.
Die Frage ist doch die: Stimmt es tatsächlich, dass wir in gar keiner
Hinsicht berechtigt sind, den Analogieschluss auf die Tierwelt
auszudehnen? Ich behaupte: Nein! – Doch wie ist meine Antwort aus
wissenschaftlicher Perspektive zu begründen? Mit Blick auf komplex
organisierte Tiere schlage ich folgendes Forschungsprogramm vor: In
einem ersten, phänomen-bezogenen Schritt intensivieren wir unsere
empirischen Forschungen über das tierliche Verhalten. In einem zweiten,
theorie-bezogenen Schritt entwickeln wir verschiedene konkurrierende
Theorien. Diesen theorie-bezogenen Teil nennen Philosophen „Denken auf
Vorrat“. In einem dritten, bewertenden Schritt vergleichen wir die
jeweiligen Erklärungsleistungen der Bewusstseins-Theorien. Ich vermute,
dass die Forschungen dann ergeben, dass die Zuschreibung einer InnenPerspektive unaufgebbar ist. Das bedeutet, es wäre völlig unverständlich,
wie Tiere ohne Bewusstsein bestimmte beobachtbare kognitive Leistungen
erbringen können, wozu Menschen nur mit Bewusstsein fähig sind.
6. In meinem letzten Argument möchte ich nun zu der heiklen Frage nach
der Tierethik kommen. Meine Kollegin aus der Philosophie und mein
Kollege aus der Biologie behaupten, dass die gesamte Natur moralisch
völlig indifferent sei und dass folglich eine Tierethik von der Natur nicht
vorgesehen ist. Doch diese Prämisse stimmt so keineswegs und die
Konklusion ist folglich zweifelhaft. Im Gegenteil! – Komplex organisierte,
sozial lebende Tiere zeigen durchaus ein gewisses moralisches Verhalten
und pflegen untereinander Freundschaften. Biologen und Philosophen
mögen mir doch einmal genau erklären, wieso die tierlichen Sozietäten
erstaunlich friedfertig zusammenleben, ohne jemals an Tieruniversitäten in
Moralphilosophie unterrichtet worden zu sein. Vergleichen wir MenschenGesellschaften mit Raben-Gesellschaften oder Bonobo-Gesellschaften, dann
fällt dieser Vergleich nicht sehr günstig für uns Menschen aus. Die Frage ist
demnach: Gibt es eine natürliche Fähigkeit zur Empathie in der Tierwelt?
Ist eine vor-sprachliche Moral bereits in der Natur implementiert? Wenn
dies der Fall ist – und ich bin fest davon überzeugt, dass dies der Fall ist –
dann verbindet uns auch in dieser Hinsicht ein sehr enges VerwandtschaftsVerhältnis mit der Tierwelt. Folglich sollten wir Menschen uns ein
natürliches Wohlwollen für unsere Verwandten bewahren!
Ich schlage aber vor, dass wir uns im August zu intensiven Forschungen in
den Schwarzwald zurückziehen, um unsere Studien über die kognitiven
Fähigkeiten der Tiere und ihren verschiedenen Bewusstseinsformen
fortzuführen. Ich möchte abschließend – im strikten Gegensatz zur Position
meiner Kollegin aus der Moralphilosophie – in aller Deutlichkeit sagen: Ich
halte das Thema dieses Kongresses als Grundlage einer angemessenen
Tierethik für wichtig und unverzichtbar.
Marie geht
Tagungs-Pause: Rainer: „Klage-Lied der Tiere“
Edda kommt, chairwoman
Vielen Dank für die hoch interessanten und sehr gehaltvollen Vorträge.
Wir wollen nun in die Diskussion eintreten und einige besonders strittige
Punkte vertiefend diskutieren. Ich möchte Sie bitten, Ihre Beiträge kurz
und knapp zu halten, damit möglichst alle Diskutanten mehrmals zu Wort
kommen können. Wer möchte mit einem Redebeitrag beginnen?
Jens & Chris melden sich per Handzeichen
Gut! – Wir hören zuallererst den Vertreter der Tierwelt und dann den
Theologen. – Bitte!
Jens kommt
Zuallererst möchte ich mich bedanken, für das traurig-schöne Klage-Lied,
dem wir in der Tagungs-Pause lauschen konnten. Ich fühle mich
ausnahmsweise auch einmal von einem Menschen verstanden. Wir – den
Tieren – ist durchaus bekannt, dass wir den selbstherrlichen MoralVorstellungen der Mehrheit der Menschen niemals werden entkommen
können. Dennoch stelle ich meinen 8-Punkte-Katalog vor und fordere die
Menschen nachdrücklich auf: 1. Akzeptieren Sie endlich, dass wir alle
miteinander verwandt sind! 2. Begreifen Sie Ihre Abhängigkeit von einer
intakten und vielfältigen Natur – anstatt von einem bloß erfundenen und
selbst fabrizierten Gott! 3. Begrenzen Sie die Zahl Ihrer eigenen
Artgenossen, damit noch ein wenig Platz für die Tierwelt übrig bleibt!
4. Beschränken Sie Ihren Fleischkonsum! Wir Tiere gestehen den
Menschen durchaus auch eine karnivorische Ernährungsweise zu. Aber,
muss dies denn in eine gnadenlose Ausbeutung und Verschwendung von
Tierleben ausarten? 5. Gestehen Sie der Tierwelt ein eigenes Existenzrecht
zu! 6. Respektieren Sie uns als empfindsame, wollende und denkende
Lebewesen – und zwar auch dann, wenn Sie nicht imstande sind, die
verschiedenen Bewusstseinsformen bei Tieren wissenschaftlich exakt
nachzuweisen! 7. Nehmen Sie endlich Rücksicht auf unsere art-spezifischen
Bedürfnisse! 8. Erweisen Sie sich tatsächlich als barmherzig und behaupten
sie nicht nur, dass Sie einer, Barmherzigkeit lehrenden Religion folgen! Von
bloßen Lippenbekenntnissen der angeblich so vernunft- und moral-fähigen
Menschen profitiert die Tierwelt nicht!
Jens geht
Vielen Dank für Ihren bedenkenswerten Beitrag! – Nun hören wir den
Theologen. – Bitte!
Chris kommt
Lasset uns flehen um die rechte Erleuchtung durch den heiligen Geist.
Amen! – Ich möchte hier zuallererst und vor allem anderen vor den
verderblichen Behauptungen der Naturalisten warnen. Die Biologie und die
Kognitive Ethologie können das Spezifische der menschlichen Lebensform
gerade nicht erfassen. Die Fragen nach Sinn und Moral gehören aber
unaufgebbar zur conditio humana. Für den Theologen kann die Schöpfung
nur verstanden werden als Ausdruck des Heilswillens eines personal
gedachten Gottes und damit ist sie von vornherein eingebettet in eine
göttliche Willens- und Handlungsordnung. Nach biblischer Auffassung
steht ein, dem göttlichen Heilswillen und dem göttlichen Schöpfungsvorbild
entsprechendes Handeln des Menschen im Vordergrund.
Bedauerlicherweise begreifen dies aber die Naturalisten nicht. Als
Repräsentant Gottes in der Welt ist der Mensch Gott verantwortlich und
herrscht nur innerhalb einer von Gott gestifteten Ordnung. In genau
diesem Sinne sprechen Christen von der „Bewahrung der Schöpfung“ – auf
dass Gottes Wille geschehe. Amen!
Chris geht
Vielen Dank! – Wer möchte darauf antworten?
Christian & Jens melden sich per Handzeichen
Bitte! – Zuerst der Biologe und dann noch mal der Vertreter der Tierwelt.
Christian kommt
Ich möchte hier kritisch anmerken, dass der Sinn dieses noblen christlichen
Slogans „Bewahrung der Schöpfung“ keineswegs klar ist. Ich frage den
Theologen: In welchem Zustand soll denn diese Schöpfung erhalten
werden? Soll die Schöpfung in einem natur-nahen, technik-armen Zustand
bewahrt werden? Oder in einem natur-fernen, hoch technisierten Zustand?
Und wenn es stimmt, dass die Natur die perfekte Schöpfung eines
allmächtigen Gottes ist – wie Theologen stets behaupten –, müsste dann
nicht ein natur-naher, technik-armer Zustand bewahrt werden, anstatt ein
natur-ferner, von menschlichen Interventionen verpfuschter Zustand? Gibt
hierzu die Bibel überhaupt Auskunft? – Und weiter. Worin genau bestehen
eigentlich der göttliche Heilswille und das göttliche Schöpfungsvorbild?
Und worin bestehen die Bedingungen des Mensch-Seins? Der göttliche
Auftrag an die Menschen lautet nach Auskunft der Bibel: Vermehret euch
und lehret den Tieren das Fürchten. – So jedenfalls zitierte der Theologe in
seinem Vortrag die Rede Gottes an Noah aus Genesis 9.1-3. In der Biologie
nennen wir dies Fortpflanzung und Selbsterhaltung auf Kosten anderer
Lebewesen. Wir könnten den göttlichen Auftrag auch auf den pfiffigen
Slogan bringen: „sex and crime“. – Das also ist der göttliche Heilswille? –
Na gut! Aber genau dies tun wir doch ständig. – Und vor allem: Genau dies
behaupten wir Biologen. Was also sollen die Naturalisten nicht verstanden
haben und folglich nicht erfassen können? Wo also – frage ich – liegt
überhaupt das Problem?
Christian geht, Jens meldet sich energisch per Handzeichen
Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag! – Ich sehe, dass der Vertreter
der Tierwelt schon ganz ungeduldig wird und daher möchte ich ihn gleich
antworten lassen. – Bitte!
Jens kommt, sehr aufgebracht
Die Menschen behandeln die gesamte Tierwelt rücksichtslos, grausam und
ausbeuterisch. Nicht genug damit, sie bringen dabei auch noch eine
Unmenge kaltschnäuziger Gründe zur Rechtfertigung ihres hartherzigen
Verhaltens vor. 1. Die Biologen halten einen fürsorglichen Umgang mit
Tieren grundsätzlich für überflüssig, weil dies die Natur angeblich gar
nicht vorgesehen hat. Ich möchte dies aber energisch bestreiten. Auch in
der Tierwelt gibt es Zuneigung, Hilfsbereitschaft und Freundschaft. Die
Natur hat fürsorgliches Verhalten durchaus in ihrem Repertoire – wie
zumindest die Kognitive Ethologie bereits herausgefunden hat. 2. Auch die
Theologen sind nicht wirklich am Wohlergehen der Tiere interessiert. Sie
haben immer nur ihr eigenes Seelenheil im Blick. Einige gewähren uns
zwar ein wenig Barmherzigkeit, aber nur, insofern es der Wille ihres Gottes
ist. Ob es aber tatsächlich der Wille ihres Gottes ist, über diese Frage
behalten sie stets die Deutungshoheit. Am schrecklichsten stellt sich dies in
jenem Teil der heiligen Schrift dar, den die Menschen Altes Testament
nennen. Zu jenen Zeiten mussten wir Tiere auch noch als Opfertiere
herhalten, um die aufmüpfigen Menschen mit ihrem stets schlecht
gelaunten Gott zu versöhnen. Ein sonderbarer Gedanke und ein widerliches
Verhalten! 3. Besonders empörend finde ich die Position der
Moralphilosophen. Sie sind zutiefst ungerecht: Sie stellen sich schützend
vor alle befruchteten menschlichen Eizellen, obwohl diese weder über
Empfindungen noch über sonstige kognitive Fähigkeiten und schon gar
nicht über Ich-Bewusstsein verfügen. Sie ignorieren aber das unsägliche
Leid eines ich-bewussten Schweins, das sie nur in Schnitzelform auf ihrem
Teller zu schätzen wissen. Bei all dieser Ungerechtigkeit rühmen sie sich
selbst als vernunft-fähig und moral-fähig. Dabei stört es sie nicht, dass diese
Selbstzuschreibung mit den tatsächlich ausgeübten Grausamkeiten gegen
die Tierwelt einfach nicht zusammenpasst.
Jens geht
Victoria meldet sich per Handzeichen
Eine sehr überzeugende Kritik an den Rechtfertigungsgründen der
Menschen, wie mir scheint. Vielen Dank! – Nun wollen wir dazu die
Stellungnahme der Moralphilosophin hören. – Bitte!
Victoria kommt
Die bisherigen Diskussionen zeigen eindrucksvoll, dass wir durch den
irreführenden Mensch-Tier-Vergleich schnurstracks in eine Sackgasse
geraten sind. Hier wird deutlich, wie wichtig die philosophische Klärung
von Begriffen ist. Der eigentliche Grundbegriff ist der Begriff „Person“ und
nicht der Begriff „Mensch“. Der Begriff „Person“ ist keine biologische
Kategorie, sondern er bezeichnet ein Rechtssubjekt. Wäre er nur eine
biologische Kategorie, dann bekämen wir tatsächlich ernsthafte
Abgrenzungsprobleme. Warum schützen wir befruchtete menschliche
Eizellen, obwohl sie keine Empfindungen haben? Und warum schützen wir
keine Schweine, obwohl sie möglicherweise mit Ich-Bewusstsein
ausgestattetet sind? Diese Fragen können wir im Rückgriff auf das
kognitive Merkmal sicherlich nicht beantworten. Der Verweis auf das
genetische Merkmal macht die Sache noch schlimmer: Wir teilen beinahe
99% des genetischen Materials mit den Schimpansen und immerhin noch
50% mit Bananen. Sollte zukünftig der Verzehr von Bananen aus
moralischen Gründen untersagt sein? Dies würde ich zutiefst bedauern. –
Doch Scherz beiseite. Ja, ich möchte nochmals nachdrücklich betonen: Der
naturalistische Versuch der Angleichung der tierischen Lebensform an die
menschliche Lebensform zur Begründung moralischer SelbstVerpflichtungen ist untauglich. Weder das kognitive Merkmal noch das
genetische Merkmal sind vernünftige Kriterien dafür, ob einem Lebewesen
eine moralische Berücksichtigung zukommen sollte oder nicht. Aus dem
Sein folgt kein Sollen. Um aus einem Tatsachenurteil einen Handlungsgrund zu machen, bedarf es der Anerkennung eines Werturteils durch den
freien Willen. Ein gutes Argument vermag nicht zur Einwilligung zu
zwingen – es kann bestenfalls überzeugen oder eben auch nicht. Daher
möchte ich abschließend betonen: Nur der Mensch kann 1. Absichten
haben und Zwecke verfolgen, 2. eine Sein-Sollen-Differenz erkennen,
3. Wertzuschreibungen vornehmen und 4. sich selbst durch einen Akt des
freien Willens moralische Pflichten auferlegen. Das macht den Menschen zu
einer Person und damit zum Subjekt der Moralität – wie schon Kant
zutreffend bemerkte.
Victoria geht
Das waren die Ausführungen der Moralphilosophin. – Vielen Dank. Wer
möchte darauf antworten?
Marie meldet sich per Handzeichen
Bitte! – Die Kognitive Ethologin.
Marie kommt
Ich möchte die, von unserer Moralphilosophin zuvor gestellten Fragen
nochmals aufgreifen und kritisch hinterfragen. Sie fragt: Warum schützen
wir befruchtete menschliche Eizellen, obwohl sie keine Empfindungen
haben? Und warum schützen wir keine Schweine, obwohl sie mit IchBewusstsein ausgestattetet sind? – Ja, warum tun wir das eigentlich? Haben
wir dafür wirklich gute Gründe oder tun wir dies nur aus einer
speziesistischen Haltung heraus? Das ist doch die eigentliche Frage und ich
möchte betonen, dass diese Frage bislang nicht beantwortet wurde! – Und
weiter sagt sie: Ein gutes Argument vermag nicht zur Einwilligung zu
zwingen – es kann bestenfalls überzeugen oder eben auch nicht. – Richtig!
Aber welches famose Argument soll es denn für dieses ungerechte
menschliche Verhalten geben? Weder das genetische Merkmal noch das
kognitive Merkmal sollen hier relevant sein. Doch welches Argument soll
und kann mich denn überzeugen? Und wie genau schafft es eigentlich ein
moralisches Argument, die Anerkennung durch meinen angeblich freien
Willen zu erlangen? Ich vermute, es muss mit meinen persönlichen
Vorlieben und Neigungen übereinstimmen, damit es mich überzeugt, nicht
wahr? – Nun gut, ich gebe zu, ich kenne mich als Kognitive Ethologin in der
Moralphilosophie nicht besonders gut aus. Ich habe jedenfalls die
philosophische Rede vom freien Willen bislang nicht verstanden. Der freie
Wille scheint mir – bei Lichte betrachtet – nur der Gefangene der
allmächtigen Natur zu sein. Alle diesbezüglichen Erläuterungsbemühungen
der Moralphilosophen haben mich nur noch ratloser gemacht. Aber ich
habe den schlimmen Verdacht, dass hier lediglich die abscheulichen
Gedanken der Speziesisten vertreten werden. Soll hier etwa deshalb eine
Unvergleichbarkeits-These etabliert werden, um die Grausamkeiten
gegenüber der Tierwelt zu rechtfertigen? Der Rückgriff auf die sonderbare
Tierethik Kants hilft auch nicht weiter. Kant war ein Speziesist. Er hatte
keine Ahnung von Tieren – und als Frau möchte ich ergänzen – er hatte
auch keine Ahnung von Frauen. Ich bleibe dabei und bestehe darauf:
Bislang habe ich noch kein einziges überzeugendes Argument gehört,
warum befruchtete menschliche Einzellen schützenswert sein sollen. Ich
fordere daher: Kein Schutz für befruchtete menschliche Eizellen! – Aber
Hände weg von ich-bewussten Schweinen!
Marie geht
Chris meldet sich per Handzeichen
Vielen Dank für diese provokante Forderung. – Ich vermute, dass es dazu
reichlich Widerspruch geben wird. – Bitte! Der Theologe hat das Wort.
Chris kommt
Vater unser im Himmel vergib uns unsere Schuld. Amen! – Die Forderung
der Naturalistin ist bestürzend und erschütternd. Die heilige Schrift belehrt
uns unbezweifelbar über die Heiligkeit des menschlichen Lebens und das
menschliche Leben beginnt nun mal mit der Befruchtung der Eizelle. Es ist
daher bibelgemäß und folglich gottgewollt, dass wir befruchtete
menschliche Eizellen schützen …
Marie kommt dazu, es kommt zum Schlagabtausch
Immerzu berufen sich die Theologen auf ein altorientalisches
Märchenbuch.
Wir berufen uns nicht auf ein altorientalisches Märchenbuch, sondern auf
das Wort Gottes. – Gepriesen sei der Name des Herrn. Amen!
Wort Gottes! Wort Gottes! – Gibt es diesen Gott überhaupt?
Gewiss! – Die Bibel bestätigt uns ausdrücklich, dass sie das geoffenbarte
Wort Gottes ist und damit bestätigt sie auch die Existenz Gott.
Die Bibel ist kein Beleg für die Existenz Gottes. Grimms Märchen sind
schließlich auch keine Belege für sprechende Wölfe oder Katzen mit
Stiefeln an den Füßen. Der Vertreter der Tierwelt hat völlig zu Recht
behauptet, dass dieser Gott bloß erfunden und selbst fabriziert ist.
Ich bin zutiefst erschüttert über diese ungeheuerlichen Gotteslästerungen! –
Die Naturalisten prangern uns Theologen immerzu an, dass wir an einen
Gott glauben, dessen Existenz wir nicht belegen können. – Aber was tun die
Naturalisten? Sie glauben an die Existenz eines Tier-Bewusstseins, obwohl
sie dies ebenfalls nicht belegen können.
Es überrascht mich keineswegs, dass diese Himmelskomiker in diesen
Fragen keinen Unterschied erkennen können. Was Gott betrifft, so ist völlig
unklar, ob es ihn gibt und wenn ja, welche Eigenschaften er hat. Was
hingegen die Tierwelt anbelangt, so ist völlig gesichert, dass es Tiere gibt
oder wollen Sie dies etwa bestreiten? Falls Sie dies ernsthaft bestreiten
wollen, dann bedenken Sie, dass Sie damit auch die göttliche Schöpfung
vernichten! – Im Übrigen geht es darum, das beobachtbare tierliche
Verhalten in seinem vielschichtigen phänomenalen Gehalt zu begreifen und
da kommen wir wohl ohne die Annahme bestimmter Bewusstseinsformen
bei Tieren nicht aus. Hierin liegt folglich der Unterschied der beiden
Existenzannahmen. – Kapieren das eigentlich die Himmelskomiker
irgendwann auch mal?
Edda geht energisch dazwischen
Ich möchte hier die Diskussion lieber abbrechen. – Bitte beruhigen Sie sich
doch wieder.
Marie geht
Ich möchte hier entschieden die Gotteslästerung zurückweisen, dass Gott
bloß von Menschen erfunden und selbst fabriziert sei. Wenn die
Naturalisten mit dieser Unterstellung Recht hätten, dann könnten wir den
Menschen niemals einen Vorwurf daraus machen, dass sie sich so verhalten
wie sie sich verhalten. Wir können den Begriff „Verantwortung“ nur im
Sinne von „Verantwortung vor Gott“ verstehen. Es muss folglich einen
Gott geben, da wir sonst die Frage nach der Verantwortung überhaupt gar
nicht erst stellen könnten. Und wenn dieser Gott existiert, dann wird er sich
uns Menschen wohl auch geoffenbart haben, um uns über einen
verantwortlichen Umgang mit der göttlichen Schöpfung aufzuklären.
Christian kommt dazu, es kommt zum Schlagabtausch
Vielleicht wäre ein verantwortlicher Umgang mit der Natur durchaus
wünschenswert. – Aber bleiben wir doch bei den Fakten! Es gibt uns
Menschen nun mal nicht zum Aussuchen! Wir sind, wie wir sind! Wir
sollten auf Theologie und Moralphilosophie völlig verzichten. Wir reden
zwar gerne über Gott und Moral, aber dann handeln wir doch, wie es uns
die Natur diktiert.
Es ist eine schwere Sünde wider den Heiligen Geist, wenn die Naturalisten
die gottgewollte Bestimmung des Menschen hartnäckig leugnen.
Unsere moral-philosophierende Kollegin sagte völlig zu Recht: Ein
moralisches Argument vermag nicht zur Einwilligung zu zwingen. –
Richtig! Und ich ergänze: Auch ein nicht-existierender Gott vermag nicht
zur Einwilligung zu zwingen. Die Sachlage ist doch einfach: Wenn dem
Menschen ein moralisches Argument oder der angebliche Wille Gottes
nicht schmeckt, dann sucht er einfach ein anderes moralisches Argument
oder eine andere Bibelstelle oder sogar einen ganz anderen Gott. Und der
Fakten-Check zeigt: Hierin ist der Mensch ausgesprochen innovativ.
Die gottlosen Naturalisten unterschätzen stets die Gnade Gottes. Das
besondere Wirken des Heiligen Geistes führt zur heilsamen Einsicht.
Gepriesen sei der Herr für diese segensreichen Gaben! Amen!
Nun da bin ich ja sehr beglückt, dass ich geradezu ein lebendes
Gegenbeispiel für diese wundersame theologische Gaben-Theorie bin.
Edda geht energisch dazwischen
Ich möchte hier die Diskussion lieber abbrechen. – Bitte beruhigen Sie sich
doch wieder.
Christian & Chris gehen
Möchte noch jemand in gemäßigter Weise zur Diskussion beitragen?
Victoria meldet sich per Handzeichen
Aha, die Moralphilosophin. – Bitte!
Victoria kommt
Eine theozentrische Begründungsstruktur mit dem Begriff „Verantwortung
vor Gott“ ist sicherlich problematisch, insofern die Existenz Gottes
ungesichert und der Wille Gottes unklar bleiben. Aber hier hilft Kants
Pflichtenlehre im Sinne einer Fürsorge- und Verantwortungsverpflichtung
weiter. Der Mensch selbst wird zur entscheidungseffektiven Instanz der
Verantwortung, indem er sich selbst indirekte Pflichten in Ansehung der
Tiere setzt. Das bedeutet: Sinnlose Tierquälerei erschüttert die menschliche
Moralität in ihren Grundfesten und ist daher zu unterlassen. Aber in einer
Rechtsbeziehung zur Tierwelt stehen wir dennoch nicht.
Marie kommt dazu, es kommt zum Schlagabtausch
Wenn die Kognitive Ethologie zu der Erkenntnis kommt, dass es Tierarten
gibt, die über verschiedene Bewusstseinsformen verfügen – beispielsweise
das Ich-Bewusstsein –, können wir es dann rechtfertigen, dass wir diese
Tierarten moralisch nicht berücksichtigen?
Der Rückgriff auf vermeintliche Bewusstseinsformen bei Tieren ist völlig
unbrauchbar, weil diese Forschungen stets an einem unangemessenen
Anthropomorphismus leiden. Ich betone nochmals: In einer
Rechtsbeziehung zur Tierwelt stehen wir nicht, und zwar deshalb nicht,
weil Tiere keinen autonomen Willen haben und damit keine moralischen
Subjekte sind.
Befruchtete menschliche Eizellen haben auch keinen autonomen Willen …
Die moralische Berücksichtigung der menschlichen Lebensform begründet
sich allein in der Würde des Menschen.
Und wo bleibt die Würde des Tieres? Die argument-freie Behauptung von
der Würde des Menschen ist bloß eine willkürliche Setzung selbstherrlicher
Theologen und Moralphilosophen und setzt sich unwiderruflich dem
Speziesismus-Vorwurf aus. Im Übrigen vermute ich, dass die
Moralphilosophie einen Buchstaben zuviel hat. – Die Moralphilosophie
sollte vielleicht besser Oralphilosophie heißen.
Aha! – Was wollen Sie damit sagen?
Damit will ich nur sagen, dass Moralphilosophen ein Club von natur-fernen
Quasselstrippen sind, die in ihrer egozentrischen Weltsicht nicht einmal die
Vorderseite eines Schimpansen von seiner Rückseite unterscheiden
könnten.
Edda geht sehr energisch dazwischen
Ich möchte hier endgültig die Diskussion schließen, bevor es noch
schlimmer kommt.
Victoria & Marie gehen
Ich bedanke mich herzlich für die sehr engagierten und hoch emotionalen
Diskussionsbeiträge.
Edda geht
Jens kommt
Liebe Menschen! Ich schließe hiermit den Schwarzwald-Kongress und
bedanke mich sehr herzlich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind und die
Klagen der Tierwelt zumindest zur Kenntnis genommen haben.
Mit großem Erstaunen habe ich Ihren interessanten Argumenten gelauscht.
Ich bin sehr überrascht, dass jede Position, die Sie vorgetragen haben,
letztlich nur in eine jeweils andere Sackgasse führt. Wir – die Tiere – haben
die Menschen stets ob ihrer kognitiven Fähigkeiten bewundert. Nun aber
musste ich lernen, dass die Menschen seit den Tagen des legendären
Sokrates in ihrem Bemühen um gesichertes Wissen noch keinen Schritt
weitergekommen sind. Die Menschen stolpern lediglich von einer Sackgasse
in die andere und zum Schluss müssen sie sich dann doch eingestehen: Wir
haben nicht gefunden, was der Mensch bzw. was das Tier ist! Wir müssen
weitersuchen! Aber warum sind die Menschen nur so stolz auf ihr Wissen,
das – bei Lichte betrachtet – nur ein Nicht-Wissen ist? Das habe ich bislang
noch nicht verstanden.
Obgleich das Anliegen der Tierwelt äußerst kontrovers diskutiert wurde, so
hat es doch zumindest das erfreuliche Ergebnis gezeigt, dass wir uns bald
wieder treffen wollen, um über die verschiedenen Bewusstseinsformen in
der Tierwelt zu forschen. Diese Frage dürfte für die Menschen und die
Tiere gleichermaßen wichtig sein: 1. Für die Menschen könnte die
Erforschung des Tier-Bewusstseins ein vertieftes Selbstverständnis
befördern. 2. Für die Tierwelt ist die Erforschung des Tier-Bewusstseins
deshalb wichtig, weil wir noch immer darauf hoffen, dass wir die Menschen
von der Notwendigkeit einer fürsorglichen und wohlwollenden Tierethik
überzeugen können. 3. Für uns alle aber könnten die Ergebnisse interessant
sein, damit wir uns – als naturgemäße Brüder und Schwestern – gegenseitig
besser verstehen. Vielleicht verstehen wir – die Tiere – dann auch, warum
viele Menschen so selbstverliebt sind und nicht mit uns verwandt sein
wollen. Aber bitte denken Sie stets daran: Vielleicht wird es später einmal
Lebewesen geben, die auch nicht glauben wollen, dass sie von Menschen
abstammen.
Ich bedanke mich nochmals sehr herzlich und freue mich auf ein
Wiedersehen im August im Schwarzwald. – Tschüss!
Jens verschwindet im „Schwarzwald“, winkend
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