Kinder mit Kriegserfahrungen Empirische Ergebnisse zu Trauma und Traumabewältigung Friedensbildung – Grundlagen, Konzepte und Fallbeispiele [Ringvorlesung] Universität Hamburg Dr. Fionna Klasen Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 09. Dezember 2010 www.children-for-tomorrow.de Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 1 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Gliederung des Vortrages Einleitung Ð Kinder im Krieg Flüchtlingskinder in HH Ð Empirische Untersuchung Ð Flüchtlingsambulanz am UKE >> DEBATTE<< Kindersoldaten Ð Empirische Untersuchung Ð Children for Tomorrow Uganda >> DISKUSSION<< Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 4 Kinder weltweit Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 5 Bewaffnete Konflikte Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 6 Kinder mit Kriegserfahrungen Quelle: United Nations Children's Fund (UNICEF). (2000). The State of the World’s Children 2000. New York: UNICEF. Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Traumafolgestörungen Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 8 DEFINITION Traumatische Erlebnisse (nach DSM) Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden waren: (1) Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten. (2) Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. American Psychiatric Association. (1994). Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-IV (4. Aufl.). Washington, DC Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Internationale Klassifikationssysteme Psychischer Störungen Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 9 Posttraumatische Belastungsstörung [PTBS] A. Traumaexposition 1. Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod [objektiv] und 2. Reaktion: intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen [subjektiv] B. Wiedererleben C. Vermeidungsverhalten D. Erhöhtes Erregungsniveau E. Dauer: länger als einen Monat F. Beeinträchtigungen in wichtigen Funktionsbereichen American Psychiatric Association. (1994). Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-IV (4. Aufl.). Washington, DC Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 11 Trauma-Diagnose für Kinder Ist die PTBS geeignet, um Traumafolgen bei Kindern zu erfassen? Kritik: – Konzept auf der Basis der Symptomatik Erwachsener entwickelt – Nur minimale Modifikationen der Kriterien für Kinder im DMS-VI – Kriterien nicht an Entwicklungsstand von Kindern angepasst – Keine Berücksichtigung verschiedener Trauma-Typen – Häufig über die PTBS-Kriterien hinausgehende Symptomatik – Hohe Komorbidität bei Kindern mit PTBS Diagnose: 87.5% mind. eine, 77.5% zwei oder mehr weitere Diagnosen Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 12 Developmental Trauma Disorder A. Traumatische Erfahrungen und Vernachlässigung B. Affektive und physiologische Dysregulation C. Schwierigkeiten der Aufmerksamkeits- und Verhaltenssteuerung D. Schwierigkeiten der Selbstregulation und Beziehungsgestaltung E. Posttraumatische Belastungsstörung (mind. 2 Symptome) F. Dauer: Mind. 6 Monate G. Beeinträchtigung in wichtigen Funktionsbereichen Quelle: van der Kolk et al., 2009 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 13 Prävalenzen Kinder & Jugendliche Allgemeinbevölkerung Traumatische Erlebnisse: 43% PTSD: 6,3% (Giaconia et al., 1995) Flüchtlingskinder Traumatische Erlebnisse: 80%-100% PTSD: 17%-52% (keine systematischen Reviews!) Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 14 Verläufe Bonanno, G. A. (2004). Loss, trauma, and human resilience: Have we underestimated the human capacity to thrive after extremely aversive events? American Psychologist, 59(1), 20-28. Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Psychische Gesundheitsversorgung von Kindern Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 16 WHO Atlas Projekt zur psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen 17 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Fragebogen a) Nationale Richtlinien b) Monitoring c) Versorgung d) Finanzierung e) Ausbildung Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 18 Teilnehmende Länder Rücklauf: 66/192 Länder 19 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Richtlinien und Programme WHO region Some form of national policy Child and adolescents mental health program Africa 33.3% 6.3% Americas 77.8% 44.5% South-East Asia 50.0% 62.5% Europe 95.8% 66.7% Eastern Mediterranean 100% 33.3% Western Pacific 83.3% 66.7% Quelle: WHO (2005). Atlas. Child and adolescent mental health resources. Geneva: WHO. Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 20 Versorgung Verhältnis Kinderpsychiater : Kinder Europa: 1:5.300 – 1:51.800 (Remschmidt & van Engeland, 1999) Deutschland: 1:22.000 (Remschmidt, 1990) Afrika: 1:1 Mio (WHO, 2005) Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 21 Ausbildung Ð Häufig keine Ausbildungsstandards Ð Viele Länder habe keine Ausbildungsprogramme für Kinder- und Jugendpsychiater (z.B. Uganda) Statistiken (Beispiele): Ð Nur 10 von 66 Ländern berichten, dass mehr als 25% der Pädiater Qualifikationen in „mental health“ erhalten Ð Außerhalb von Südafrika, gibt es in der gesamten afrikanischen Region keine kinder- und jugendpsychiatrischen Ausbildungsprogramme Quelle: WHO (2005). Atlas. Child and adolescent mental health resources. Geneva: WHO. Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 22 Flüchtlingskinder Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 23 Definition „Flüchtlingskind“ Ein Flüchtlingskind ist eine Person unter 18 Jahre*, die wegen Formen organisierter Gewalt, wie z.B. Krieg, Folter oder Vertreibung ihr Heimatland verlassen musste und im Exil lebt. * Nach der Kinderrechtskonvention der UN ist ein Kind, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (United Nations, 1992). Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 24 Flüchtlinge weltweit Nach Schätzungen der Vereinten Nationen befinden sich zurzeit weltweit ca. 32 Millionen Menschen auf der Flucht vor organisierter Gewalt. Ungefähr die Hälfte von ihnen sind Kinder. Quelle: United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), 2008 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Flüchtlingskinder in Deutschland In Deutschland leben derzeit ca. 300.000 Flüchtlingskinder Davon sind zwischen 5.000 und 10.000 Kinder unbegleitet Der Aufenthaltsstatus ist häufig unsicher Nur 4,5% der im Jahr 2006 gestellten Asylanträge waren erfolgreich (Terre des Hommes, 2008; http://www.tdh.de/content/themen/schwerpunkte/fluechtlingskinder/deutschland.htm) Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 25 Stand der Forschung Drei Phasen der Belastung 1. Traumatische Erfahrungen, chronischer Stress in den Herkunftsländern 2. Flucht häufig unter Lebensgefahr mit Trennungen innerhalb der Familien 3. Belastungen im Exilland mit Rollen- und Sprachkonflikten sowie sozialen und rechtlichen Problemen (Fazel & Stein 2002) Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Forschungskolloquium Gesundheitspsychologie Ergebnisreferat von Christine Pieper 02.02.2010 Stand der Forschung Häufige Symptome bei Flüchtlingskinder: – – – – – – – – sozialer Rückzug Ängste Schlafstörungen Dissoziationen Enuresis Enkopresis Schulprobleme Suizidalität (Poustka, 1984; Storch & Poustka, 2000) Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Forschungskolloquium Gesundheitspsychologie Ergebnisreferat von Christine Pieper 02.02.2010 Kontext: Flüchtlinge in Hamburg Stand: 31.12.2009 Aufenthaltserlaubnis aus völkerr., humanit. o. polit. Gründen insgesamt Ausl. mit Aufenthaltsgestattung insgesamt Aussetzung der Abschiebung (Duldungen) Gesamt darunter Minderjährige 10.570 3.049 737 342 4.392 1.214 15.699 4.605 Quelle: Ausländerzentralregister Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Flüchtlingskinder in Hamburg Wohnsituation der Flüchtlingsfamilien in HH: – unhygienische Zustände – räumliche Enge – Fehlende Rückzugsmöglichkeiten – Angst vor Übergriffen – soziale Benachteiligung durch dezentrale Lage der Unterkünfte – ausbleibende Besuche von Freunden Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 29 Ziel der Untersuchung Ziel der Studie ist es, Häufigkeiten und Zusammenhänge zwischen traumatischen Erlebnissen, Psychopathologie und Versöhnungsbereitschaft bei Flüchtlingskindern zu untersuchen. Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de DEFINITION Versöhnungsbereitschaft Versöhnung wird als interpersonaler Prozess verstanden, in dem sich mehrere Personen nach einer Verletzung tatsächlich begegnen und wieder annähern (Enright et al., 1998). Während Versöhnung ein komplexer Prozess zwischen Personen ist, bezeichnen wir mit Versöhnungsbereitschaft die dafür notwendige Einstellung einer Person, die sich durch (1.) niedrige Rachebereitschaft (2.), geringes Vermeidungsverhalten (3.) und Wohlwollen gegenüber einem Gegner sowie (4.) eine hohe positive Zukunftsorientierung auszeichnet. Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 31 Fragebogen zur Versöhnungsbereitschaft (engl.: Openness to Reconciliation Questionnaire; RECQ) Die Gesamtskala umfasst 33 Items mit den vier Subskalen Wohlwollen (8 Items, z. B.: „Ich kann mit dem Gegner mitfühlen“) Vermeidung (8 Items, z.B.: „Ich würde niemals mehr mit dem Gegner reden“) Rache (8 Items, z.B. „Ich werde es dem Gegner eines Tages heimzahlen“) Zukunftsorientierung (9 Items, z.B.: „Ich versuche, mich auf die Zukunft zu konzentrieren“) Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 33 Datenerhebung September 2002 bis Juni 2003 Schüler an 27 Hamburger Schulen (Gesamtschule 48.4 %, Realschule 29.8%, Gewerbeschule 10.2%, Grundschule 6.5% und andere 5.1%) Befragungsdauer: 2 Schulstunden Befragungsdurchführung: Kliniker aus UKE sowie Forschungsassistenten Votum: Ethik-Kommission der Ärztekammer Hamburg Einschlusskriterien - Alter zwischen 9 und 20 Jahre - aus Afghanistan, Bosnien oder Kosovo stammend - Erinnerung an Flucht - zum Zeitpunkt der Befragung nicht in psychotherapeutischer Behandlung Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 34 Messinstrumente Soziodemographische Daten Eigenentwicklung Trauma Eigenentwicklung basierend auf Child War Trauma Questionnaire (CWTQ; Macksoud, 1992) PTSD Childhood PTSD Reaction Index (CPTS-RI; Frederick, 1985; Nader, Pynoos, Fairbanks, & Frederick, 1990; Pynoos et al., 1987) Depressivität Depression Self-Rating Scale for Children (DSRSC; Birleson, 1981). Ängstlichkeit Revised Children Manifest Anxiety Scale (RCMAS; von Reynolds & Richmond, 1978) Versöhnungsbereitschaft Fragebogen zur Versöhnungsbereitschaft (engl.: Openness to Reconciliation Questionnaire; RECQ, Adam & Klasen, 2010) 35 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Stichprobe N=215 Mädchen 41% Alter bei Befragung ∅ [Spanne] 15 [9-20] Jahre Herkunftsland Afghanistan Bosnien Kosovo 80% 14% 6% Alter bei Flucht ∅ [Spanne] 9 [3-18] Jahre Aufenthaltsdauer in Dtl. ∅ [Spanne] 6 [0-13] Jahre Religionszugehörigkeit islamisch 84% Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 36 Traumatische Erlebnisse (Auswahl) n % Zeuge von Bombardierung/ Beschuss von Gebäuden 113 52.6 Verletzte Person gesehen Zeuge von Gewalt 119 55.3 Leichen gesehen 93 43.3 Massaker gesehen 38 17.7 Ernsthaft geschlagen worden 33 15.3 Körperlich verletzt worden 32 14.9 Gefangen genommen worden 30 14.0 Androhung von Verletzung/ Tod 45 20.9 Angst vor Tod durch Hunger/ Durst 83 38.6 Angst vor Tod durch Erfrierung 79 36.7 Opfer von Gewalt Deprivation mit Todesangst 37 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Traumatische Erlebnisse (Auswahl) n % Gewaltsames Eindringen ins eigene Zuhause 96 44.7 Trennung von Bezugspersonen 76 35.3 Tod eines Verwandten 88 40.9 29 13.5 Verlust Täterschaft Bezugsperson Waffe benutzt Bezugsperson andere Person getötet 19 8.8 Selber Waffe benutzt 16 7.4 2 0.9 Selber andere Person getötet Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 38 Psychopathologische Auffälligkeiten % über Cut-Off Posttraumatische Belastungsstörung 14.0 Depressivität 33.5 Ängstlichkeit 11.2 39 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Versöhnungsbereitschaft MW SD Max. mögl. Wert 19.10 5.35 33 Wohlwollen 3.47 2.26 8 Vermeidung 4.23 2.19 8 Rache 3.34 2.48 8 7.2 1.99 9 Versöhnungsbereitschaft Zukunftsorientierung Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 40 Psychopathologischen Auffälligkeiten und Versöhnungsbereitschaft [Multiple lineare Regressionen] PTBS Depressivität Ängstlichkeit 1. Sozidemograph. Variablen *** Mädchen * Alter 2. Trauma Trauma Summenwert *** *** *** *** ** *** 3. Versöhnungsbereitschaft Wohlwollen Vermeidung Rache Zukunftsorientierung Anmerkung: N=215. *p < .05, **p < .01, ***p < .001. 41 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Children for Tomorrow Hamburg - Flüchtlingsambulanz - Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 42 Flüchtlingsambulanz: Angebote Diagnostik Schulprogramme Krisenintervention Kunsttherapie Psychotherapie (ambulante Langzeittherapien) Sonderprogramme, zB Ferienprogramme stationäre Aufnahmemöglichkeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des UKE Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Patienten Mädchen 39% Alter bei Behandlungsbeginn 12 Jahre Unbegleitete Flüchtlingskinder 26% Behandlungsdauer 8 Monate Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 44 Herkunftsländer Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Hauptdiagnosen Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Besonderheiten der Behandlung Dolmetscher Großfamilien unbegleitete Jugendliche Behandlungsbündnis: Erwartungen (z.B. Rettungsphantasien, Attestwünsche) kulturell geprägte Krankheits- und Bewältigungskonzepte unsicherer Aufenthaltsstatus Schwierigkeit der ambulanten Weitervermittlung Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de DEBATTE Sollten Flüchtlingskinder in Dtl. psychotherapeutisch behandelt werden oder sollte in Behandlungsangebote in den betroffenen Ländern investiert werden? Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 48 Kindersoldaten Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 49 Definition „Kindersoldat“ Als Kindersoldat wird „jede Person unter 18 Jahren bezeichnet, die von nationalen Streitkräften oder nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen rekrutiert oder benutzt wird oder wurde, egal in welcher Funktion oder Rolle, darunter Kinder, die als Kämpfer, Köche, Träger, Nachrichtenübermittler, Spione oder zu sexuellen Zwecken benutzt wurden. Ausdrücklich sind es nicht nur Kinder, die aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen haben“ Quelle: Coalition to Stop the Use of Child Soldiers. (2008). Weltbericht Kindersoldaten 2008. Retrieved December 12, 2008, from http://www.child-soldiers.org/library/global-reports Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 50 Kindersoldaten weltweit 250 000 Kindersoldaten weltweit Ð meist zwischen 13-18 Jahren Ð bis zu 40% Mädchen Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Betancourt et al., 2008 51 Aus: http://www.childsoldiersglobalreport.org Gründe für die Teilnahme von Kindern an bewaffneten Konflikten Seitens der Kinder und Familien Seitens der bewaffneten Gruppe Ð Ökonomische Gründe [Armut, Bildung] Ð Leichte Beeinflussbarkeit/ Einfache Kontrolle Ð Ideologische Gründe [Vergeltung, Märtyrertum] Ð Niedrige Kosten Technische Entwicklung Ð leichte Waffen Ð kaum Kontrollen im Waffenhandel Etwa 64% der Kinder werden „freiwillig“ Kindersoldaten [ILO, 2003] Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 52 Völkerrechtliche Situation Ð Das Völkerrecht versucht durch eine Reihe von Normen, Konventionen und Resolutionen, Kinder vor dem Missbrauch als Soldaten zu schützen Ð Strafrechtliche Verfolgung von Personen, die Kindersoldaten rekrutieren [z.B. durch Internationalen Strafgerichtshof] Ð Verpflichtung der internationalen Staatengemeinschaft, für die „psychische Genesung“ ehemaliger Kindersoldaten zu sorgen [Art. 39 der UN-Kinderrechtskonvention (1989) und Art. 7 des Fakultativprotokolls (2002) zur Kinderrechtskonvention] Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 53 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 54 Kontext: Nord-Uganda Seit 1986 bewaffneter Konflikt zwischen der ugandischen Armee und der Lord‘s Resistance Army (LRA) 80% (1.8 Millionen) der Bevölkerung Nordugandas in Flüchtlingscamps (IDP-Camps) 25.000-30.000 Kinder durch die LRA gewaltsam entführt und als Kindersoldaten missbraucht Seit 2006: Situation in Nord-Uganda ruhiger und relativ stabil, jedoch bis heute kein Friedensvertrag unterzeichnet Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Developmental Trauma in Former Ugandan Child Soldiers 55 55 Gulu Town: 150.000 Einwohner Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 56 Amuru IDP-Camp 44 000 Einwohner (UN-OCHA) Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 57 Die Situation der Kinder in Nord-Uganda Ð Ð Ð Ð Ð Ð Hohe Kindersterblichkeit Unterernährung Schlechte Schulbildung Gewalterfahrungen Kriegstraumatisierung Dr.Aids/HIV Fionna Klasen f.klasen@uke.de 58 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 59 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 60 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 61 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 62 Zentrale Fragestellungen Ð Welche traumatischen Erlebnisse berichten ehemalige Kindersoldaten? Ð Welche psychopathologische Auffälligkeiten zeigen ehemalige Kindersoldaten? Ð Wie viele Kinder zeigen keine Auffälligkeiten? Ð Welche Risiko- und Schutzfaktoren hängen mit psychischer Gesundheit zusammen? 63 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Stichprobe Mädchen 49% Alter ∅ [Spanne] 14 [11-17] Jahre Waisen 43% Alter bei Entführung ∅ [Spanne] 11 [5-16] Jahre Zeitraum als Kindersoldat ∅ [Spanne] 20 [1-108] Monate Zeitraum seit Rückkehr ∅ [Spanne] 32 [6-105] Monate Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 64 Durchführung Querschnittserhebung in einer Internatsschule für kriegstraumatisierte Kinder in Gulu Town / Nord-Uganda im November 2006 Einschlusskriterien: Ð Kindersoldat (> 1 Monat) Ð Alter zwischen 11-18 Jahren Auswertbare Bögen: N=330 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 65 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 66 Messinstrumente [1] Soziodemographische Daten Eigenentwicklung Trauma Child War Trauma Questionnaire (CWTQ; Macksoud, 1992) und Studie 1 Häusliche Gewalt Eigenentwicklung basierend auf Naker, 2005 Psychopathologie* PTBS Mini International Neuropsychiatry Interview (MINIKID; Sheehan et al., 1998) Depression Mini International Neuropsychiatry Interview (MINIKID; Sheehan et al., 1998) Emotionale und Verhaltensprobleme Youth Self Report (YSR; Achenbach & Rescorla, 2001) * Cook, A., Blaustein, M., Spinazzola, J., van der Kolk, B. (2003). Complex trauma in children and adolescents. White paper from the National Child Traumatic Stress Network & Complex Trauma Task Force. 67 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Messinstrumente [2] Dispositionen “Hardiness” Connor-Davidson Resilience Scale (CD-RISC; Campbell-Sills & Stein, 2007) Positive Zukunftsorientierung Positive Future Orientation (Subscale of Adolescent Resilience Scale (ARS); Oshio, A., 2003) Reaktionen Dissoziationen Peritraumatic Dissociative Experiences Questionnaire (RAND PDEQ; Marshall et al., 2002) Schuld Trauma-Related Guilt Inventory (TRGI; Kubany et al., 1996) Rache Transgression-Related Interpersonal Motivations Inventory (TRIM-18; McCullough et al., 2003) Wahrgenommene Unterstützung Soziale Unterstützung “I have at least one close and secure relationship which helps me when I am stressed” [+] Spirituelle Unterstützung “During stressful situations I wonder whether God has abandoned me” [-] Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 68 Traumatische Erlebnisse [Auswahl] Erlebnis % Gewaltsam rekrutiert worden 100 Schießereien miterlebt 92 Exekutierung anderer Menschen miterlebt 88 Verprügelt worden 91 Mit der eigenen Tötung bedroht worden 86 Ohne Trinkwasser [> 2 Tage] 78 Vergewaltigt worden 26 Selbst andere Kinder entführt 59 Selbst andere Kinder gefoltert 46 Selbst andere Menschen getötet 53 89% haben häusliche Gewalt erlebt 69 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Psychopathologie Die häufigsten Symptome [YSR >65%] Symptom manchmal/ häufig Ich glaube, ich muss perfekt sein und alles gut können 80% Ich habe Kopfschmerzen 79% Ich habe Alpträume 74% Ich mache mir viele Sorgen 72% Ich habe Bauchschmerzen oder Magenkrämpfe 71% Ich bin durcheinander oder zerstreut 69% Ich bin befangen oder werde leicht verlegen 69% Ich bin zu abhängig von Erwachsenen 69% Es gibt kaum etwas, das ich genieße 69% Ich bin schüchtern 68% Ich bin unglücklich, traurig oder niedergeschlagen 67% Ich bin bei anderen Kindern/Jugendlichen nicht beliebt 67% N=330 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Psychopathologie Posttraumatische Belastungsstörung 33% Depression 36% Emotionale und Verhaltensprobleme 61% Internalisierende Probleme Externalisierende Probleme 65% 26% Keine Geschlechtsunterschiede Komplexe posttraumatische Psychopathologie 72% 71 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Resilienz Posttraumatische Belastungsstörung 33% Depression 36% Emotionale und Verhaltensprobleme 61% Internalisierende Probleme Externalisierende Probleme 65% 26% Komplexe posttraumatische Psychopathologie 72% Posttraumatische Resilienz 28% Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Vorhersage von Resilienz [1] [Hierarchische logistische Regression] Prädiktor B SE Wald p OR 95% KI Geschlecht -.56 .46 1.49 .22 0.57 0.23-1.40 Alter Soziodemographische Variablen -.32 .15 4.41 .04 0.72 0.54-0.98 Sozioökonomischer Status .11 .05 4.15 .04 1.11 1.00-1.23 Alter bei Entführung .06 .10 0.40 .53 1.07 0.88-1.29 Dauer Kindersoldat .01 .01 0.54 .46 1.01 0.98-1.04 Trauma - Opfer .10 .13 0.62 .43 1.11 0.86-1.42 Trauma - Täter -.07 .13 0.27 .60 0.93 0.72-1.21 Verlust der Eltern .10 .52 0.04 .85 1.10 0.40-3.04 Häusliche Gewalt -.21 .06 12.17 .00 0.81 0.72-0.91 Traumatische Erlebnisse Verlust/häusliche Gewalt 73 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Vorhersage von Resilienz [2] [Hierarchische logistische Regression] Prädiktor B SE Wald p OR 95% KI Hardiness .03 .03 0.85 .36 1.03 0.97-1.08 Positive Zukunftsorientierung .04 .07 0.33 .57 1.04 0.91-1.19 Dissoziationen -.01 .03 0.05 .82 0.99 0.94-1.05 Schuldkognitionen -.04 .02 5.32 .02 0.96 0.93-0.99 Rachemotivation -.08 .04 4.16 .04 0.92 0.85-1.00 Soziale Unterstützung .07 .22 0.10 .76 1.07 0.70-1.64 Spirituelle Unterstützung .65 .17 14.22 .00 1.91 1.37-2.68 Personenvariablen Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 74 Täter/Opfer Opfer Täter beides weder noch 75 Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Versöhnungsbereitschaft und PTSD PTSD Versöhnungsbereitschaft −0.34 * Rachewunsch 0.29 * *p< .01, 2-tailed Versöhnungsbereitschaft −0.54 * N=169 Bayer, C. P., Klasen, F., & Adam, H. (2007). Association of trauma and PTSD symptoms with openness to reconciliation and feelings of revenge among former Ugandan and Congolese child soldiers. Journal of the American Medical Association, 298, 555-559. Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 76 Zusammenfassung der Ergebnisse Ð 2/3 zeigen klinisch signifikante Symptome Ð 1/3 erfüllen PTBS-Kriterien Ð Viele Kinder zeigen Symptome, die über die PTBSSymptomatik hinausgehen Ð Knapp 1/3 sind resilient Ð Niedrigeres Alter, höherer sozioökonomischer Status der Familie, niedrigeres Ausmaß an häuslicher Gewalt, geringere Schuldgefühle, niedrigere Rachemotivation und höhere wahrgenommene spirituelle Unterstützung hängen signifikant mit Resilienz zusammen Ð Kinder mit mehr Auffälligkeiten sind weniger versöhnungsbereit und haben mehr Rachewunsch Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de Children for Tomorrow Uganda Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 78 Projekt in Uganda Projekt Uganda [seit 2009] Ð Psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung in einer Ambulanz für traumatisierte Kinder Ð Psychoedukation für Eltern, Lehrer und andere Berufsgruppen Ð Outreach-Programme in Flüchtlingscamps Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 79 Training Polizisten Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 82 Training Sozialarbeiter Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 83 Zukunftshoffnungen ehemaliger Kindersoldaten in Nord-Uganda “I want to get a sewing machine so that I keep on making clothes and sell them to get some money.” “I should get my wife and have a baby.” “I will be a person who is responsible in the community; I will be the honest person; I will be a person who helps people.” Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 84 Stiftung des bürgerlichen Rechts Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Aufmerksamkeit!! Dr. Fionna Klasen f.klasen@uke.de 85