Nun aber sind zu Indiern - public.fh

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Texte der dritten Epoche
I. Rousseau
Stichwörter: Einfachheit, Schlichtheit, die Reinheit des Geschmacks, die Unschuld, Mäßigung, Tugend, Armut
Unwissenheit gegenüber der eitlen Wissenschaften, unheilvolle Glanz, verweichlichte Sitten, Redner, Luxus,
Zügellosigkeit, Versklavung, wirkliche Glückseligkeit, Korruption der Sitten
Die Anschauung des Ideals
Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste
Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und der Künste dazu beigetragen, die Sitten zu
läutern oder zu verderben?
Wie kann man es wagen, die Wissenschaften vor einer der gelehrtesten Gesellschaften
Europas zu tadeln, die Unwissenheit in einer berühmten Akademie zu loben und die
Verachtung für das Studium mit dem Respekt für die wahren Gelehrten zu vereinen?
Ich mißhandle nicht die Wissenschaft...ich verteidige die Tugend. (53)
Ein kostbarer Aufzug kann einen wohlhabenden Menschen ankündigen, Eleganz einen von
Geschmack. Den gesunden und robusten Menschen erkennt man an anderen Zeichen:
unterem schlichten Gewand eines Landmannes und nicht unterem Goldgeschmeide eines
Höflings wird man Kraft und Stärke des Körpers finden. Der Tugend, die die Kraft und
Stärke der Seele ist, ist Pracht nicht weniger fremd. Der rechtschaffene Mensch ist Athlet,
dem es gefällt, nackt und bloß zu kämpfen: er verachtet all jenen unwürdigen Zierat, der dem
Gebrauch seiner Kräfte hinderlich wäre und der zumeist nur erfunden wurde, um irgendeine
Mißbildung zu verbergen. Bevor die Kunst unsere Verhaltensweisen formte und unsere
Leidenschaften eine gekünstelte Sprache lehrte, waren unsere Sitten zwar grob, aber natürlich,
und der Unterschied im Benehmen verriet auf den ersten Blick den Unterschied der
Charaktere. Die menschliche Natur war im Grunde nicht besser, aber die Menschen fanden
Sicherheit in der Leichtigkeit, mit der sie einander durchschauten.... Heute, da subtilere
Forschungen und ein feinerer Geschmack die Kunst zu gefallen auf Grundsätze reduziert
haben, herrscht in unseren Sitten eine niedrige und trügerische Uniformität, und alle Geister
scheinen nach ein und demselben Muster gebildet zu sein: unaufhörlich erfordert die
Höflichkeit, gebietet der Anstand; unaufhörlich folgt man dem Gebräuchlichen, niemals dem
eigenen Wesen. Man wagt nicht mehr zu scheinen, was man ist, und unter diesem ständigen
Zwang machen die Menschen, die diese Gesellschaft genannte Herde bilden, in den gleichen
Umständen alle das gleiche, wenn nicht mächtigere Beweggründe sie davon abbringen. Man
wird also niemals genau wissen, mit wem man es zu tun hat . Wie viele Laster werden diese
Ungewißheit nicht alle begleiten! Keine aufrichtigen Freundschaften mehr, keine wirkliche
Achtung, kein begründetes Vertrauen. Verdächtigungen, Mißtrauen, Furcht, Kälte,
Zurückhaltung, Haß, Verrat werden sich unaufhörlich hinter dieser so gepriesenen Urbanität,
die wir der Aufklärung unseres Jahrhunderts verdanken...Soll die Mäßigung der heutigen
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Weisen loben, wer will, ich jedenfalls sehe da nur raffinierte Maßlosigkeit...und Philosophie
und Literatur, Wissenschaften und Künste haben ihren Anteil an solch segensreichen Werk
geltend zu machen... unsere Seelen haben sich in dem Maße korrumpiert, wie unsere
Wissenschaften und unsere Künste sich der Vollkommenheit genähert haben (57-59)
Luxus, Zügellosigkeit, und Versklavung waren zu allen Zeiten die Strafe für unsere stolzen
Anstrengungen, um aus jener glückvollen Unwissenheit herauszukommen, in die uns die
ewige Weisheit gestellt hatte...Begreift doch, Völker, daß die Natur euch vor der Wissenschaft
hat bewahren wollen, einer Mutter gleich, die den Händen ihres Kindes eine gefährliche
Waffe entreißt... Wie beschämend diese Überlegungen für die Menschheit sind! Wie
demütigend für unseren Stolz! Was denn! Rechtschaffenheit wäre eine Tochter der
Unwissenheit? Wissenschaft und Tugend wären miteinander unvereinbar? (65-66)
Die Astronomie leitet sich aus dem Aberglauben her; die Beredsamkeit aus dem Ehrgeiz,
dem Haß, der Schmeichelei, der Lüge; die Geometrie aus dem Geiz; die Physik aus eitler
Neugier. Sie alle, selbst die Moral, entstammen dem menschlichen Hochmut. Wissenschaft
und Künste verdanken ihre Geburt also unseren Laster... Wer wollte schon sein Leben mit
fruchtlosen Betrachtungen verbringen wenn jeder nur die Pflichten des Menschen und die
Bedürfnisse der Natur zur Richtschnur nähme und nur Zeit für das Vaterland, für die
Unglücklichen und für seine Freunde hätte? (67)
O Tugend, erhabene Wissenschaft der schlichten Seelen, bedarf es so vieler Mühen und
solcher Anstalten, dich zu erkennen? Sind deine Prinzipien nicht in alle Herzen
eingeschrieben, und genügt es nicht, um deine Gesetze zu erlernen, daß man in sich selbst
einkehrt und in der Stille der Leidenschaften auf die Stimme seines Gewissens hört? Das ist
die wahre Philosophie. Verstehen wir es, uns mit ihr zu begnügen. (81)
Ursprung und Grundlagen der Ungleichheit
Niemand ist so friedlich wie der Mensch in seinem ursprünglichen Zustand, wo er, durch die
Natur gleich weit von der Stumpfheit des Viehs wie der unheilvollen Klugheit des
Zivilisierten entfernt, von seinem Instinkt und seinem Verstand her darauf beschränkt ist, sich
vor drohendem Übel zu schützen, und sein natürliches Mitleid ihn davon abhält, einem
anderen ohne Grund Böses zu tun, sogar dann nicht, wenn ihm selbst geschadet worden ist.
(248)
Solange sich die Menschen mit ihren anspruchslosen Hütten zufriedengaben, solange sie sich
damit begnügten, sich mit Hilfe von Dornen oder Fischgräten Kleider aus Tierhaut zu nähen,
sich mit Federn und Muscheln zu schmucken, den Körper bunt zu bemalen, Bögen und Pfeile
zu vervollkommnen oder zu verzieren, mit scharfen Steinen einige Fischerkähne oder
primitive Musikinstrumente zu zimmern; kurz, solange sie sich nur mit Dingen abgaben, die
einer allein herstellen konnte, und nur Fertigkeiten pflegten, die nicht das Zusammenwirken
mehrerer Hände erforderten, lebten sie so frei, gesund, gut und glücklich, wie sie ihrer Natur
nach sein konnten, und fuhren fort, miteinander die Freude eines ungebundenen Umganges zu
genießen. Doch von dem Augenblick an, da ein Mensch die Hilfe eines anderen brauchte und
man gewahr wurde, daß es einem einzelnen Nutzen brachte, Vorräte für zwei zu besitzen,
schwand die Gleichheit dahin, wandelten sich die weiten Wälder in blühende Felder, die man
mit menschlichem Schweiß düngen mußte und auf denen man mit den Ernten bald Sklaverei
und Elend keimen und wachsen sah. Die Metalbearbeitung und der Ackerbau waren die
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beiden Künste, deren Erfindung jene große Umwälzung zustande brachte. Für den Dichter
sind es Gold und Silber, für den Denker aber Eisen und Getreide, die den Menschen zivilisiert
und die menschliche Gattung verdorben haben. (249) Die Wege...welche die Menschen aus
dem Naturzustand in den Gesellschaftszustand geführt haben müssen (272).
Der Wilde und der zivilisierte Mensch unterscheiden sich derart vom Grund ihres Herzens
und ihrer Neigungen her, daß, was das höchste Glück des einen ausmacht, den anderen in
Verzweiflung stürzen würde. Jener atmet nur Ruhe und Freiheit, er will nichts als leben und
untätig bleiben, selbst der Gleichmut der Stoiker riecht nicht an seine tiefe Gleichgültigkeit
gegen jeden anderen Zweck heran. Der Bürger hingegen ist immerzu tätig, er schwitzt und
kennt keine Ruhe, er quält sich unablässig, um noch arbeitsamere Beschäftigung zu finden: er
arbeitet bis zum Tod, er beschleunigt ihn sogar, nur um Leben zu können, oder aber er entsagt
dem Leben, weil er die Unsterblichkeit erlangen will. Er macht den Großen, die er haßt, und
den Reichen, die er verachtet, den Hof und läßt nichts ungetan für die Ehre, ihnen dienen zu
dürfen....Dies ist in der Tat der wahre Grund für all die Unterschiede: der Wilde ruht in sich
selbst, der gesellschaftliche Mensch, stets außerhalb seiner selbst, versteht nur in der
Meinungen anderer zu leben, einzig aus ihrem Urteil bezieht er sozusagen sein eigenes
Lebensgefühl. (273)
Es genügt mir, bewiesen zu haben, daß...allein der Geist der Gesellschaft und die
Ungleichheit, die sie hervorbringt, solchermaßen all unsere natürlichen Neigungen verändern
und verderben. (274)
Nun also sind all unsere Fähigkeiten entwickelt, Gedächtnis und Vorstellungskraft ins Spiel
gekommen, die Selbstsucht ist geweckt, die Vernunft regt sich, und der Geist hat beinah den
Endpunkt der ihm möglichen Entfaltung erreicht. Alle natürlichen Eigenschaften sind
nunmehr in Kraft getreten, Rang und Los jedes einzelnen festgelegt, nicht allein nach dem
Umfang des Besitzes und dem Vermögen, zu nützen oder zu schaden, sondern auch nach
Geist, Schönheit, Kraft oder Geschicklichkeit, nach Verdienst oder Talent, und weil diese
Eigenschaften die einzigen waren, die einem ansehen bringen konnten, wurde es bald nötig,
sie zu haben oder vorzutäuschen. Dem eignen Vorteil zuliebe mußte man sich anders geben,
als man wirklich war. Sein und Schein wurden zwei völlig verschiedene Dinge, und aus
diesem Auseinanderfall gingen der Eindruck heischende Prunk, die listige Täuschung und alle
Laster hervor, die ihr Gefolge bilden. Auf der anderen Seite wird der Mensch, der zuvor ein
freies und unabhängiges Wesen war, nunmehr einer Vielzahl von Bedürfnissen, sozusagen der
gesamten Natur und vornehmlich seinesgleichen unterworfen, ihre Sklave gewissermaßen,
selbst wenn er zu ihrem Herrn wird. Ist er reich, braucht er die Dienste anderer, als Armer
bedarf er ihrer Hilfe, und auch ein mäßiger Besitz versetzt ihn nicht in die Lage, auf andere zu
verzichten. Er muß also ständig versuchen, sie an seinem Schicksal zu interessieren, und sie
tatsächlich oder scheinbar ihren Gewinn darin finden lassen, für den seinen zu arbeiten: Dies
macht ihn hinterhältig und verschlagen den einen, gebieterisch und hart den anderen
gegenüber und zwingt ihn dazu, alle, die er braucht, zu täuschen, sofern er ihnen kein Furcht
einflößen kann oder keinen Vorteil dabei findet, ihnen durch eigene Dienste nützlich zu sein.
Schließlich flößen verzehrender Ehrgeiz und die Sucht, das jeweilige Vermögen zu mehren,
weniger aus echtem Bedürfnis als aus dem Wunsch nach Überlegenheit, allen Menschen den
finsteren Drang ein, sich gegenseitig zu schaden, und erfüllen sie mit geheimer Mißgunst, die
um so gefährliche ist, als sie, um ihren Schlag sicherer zu landen, oftmals die Maske des
Wohlwollens anlegt. Mit einem Wort, Konkurrenz und Rivalität auf der einen, Widerstreit
der Interessen auf der anderen Seite und überall der verdeckte Wunsch, seinen Vorteil auf
Kosten anderer zu erlangen – all diese Übel sind das erste Ergebnis des Eigentums und die
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untrennbare Folge der sich bildenden Ungleichheit. (252-253)
Über die Politische Ökonomie
Durch welche unfassbare Kunst hat man das Mittel finden können, die Menschen zu
unterwerfen, um sie frei zu machen? Die Güter, die Arme, ja selbst das Leben all seiner
Glieder in den Dienst des Staates zu stellen, ohne sie zu zwingen und ohne sie zu befragen?
Mit ihrer eigenen Zustimmung ihren Willen zu fesseln? Ihre Zustimmung gegen ihr
Ablehnung auszuspielen und sie zu zwingen, sich selbst zu bestrafen, wenn sie tun, was sie
nicht gewollt haben? Wie kann es geschehen, dass sie gehorchen, wo niemand befiehlt, dass
sie dienen und keinen Herrn haben; wie anders, als dass sie tatsächlich viel freier sind als bei
offener Unterjochung und niemand mehr von seiner Freiheit verliert als das, was der eines
anderen schaden kann? Dieses Wunder sind das Werk des Gesetzes. Dem Gesetz allein
verdanken die Menschen die Gerechtigkeit und die Freiheit. Dieses heilbringende Organ des
Willen aller stellt die natürliche Gleichheit zwischen den Menschen rechtlich wieder her.
Diese himmlische Stimme diktiert jedem Staatsbürger die Gebote der öffentlichen Vernunft
und lehrt ihn, nach den Maximen seiner eigenen Einsicht zu handeln und nicht in
Widerspruch mit sich selbst zu geraten. Und nur sie allein dürfen die Oberen sprechen lassen,
wenn sie befehlen; denn sobald ein Mensch danach trachtet, unabhängig von den Gesetzen
einen anderen seinem Privatleben zu unterwerfen, verlässt er augenblicklich den
Gesellschaftszustand und begibt sich demgegenüber in den reinen Naturzustand, wo der
Gehorsam immer nur von der Notwendigkeit vorgeschrieben wird. (343-4)
Vom Gesellschaftsvertrag
Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten. (382)
Der Stärkere ist nie stark genug, um immer Herr zu bleiben, wenn er seine Stärke nicht in
Recht und den Gehorsam nicht in Pflicht verwandelt. Daher das Recht des Stärkeren, dem
Schein nach ironisch aufgefaßtes Recht, tatsächlich jedoch zum Prinzip erhoben: aber wird
man uns dieses Wort erklären? Die Stärke ist eine physische Macht: ich sehe nicht, welche
Moralität aus ihren Wirkungen hervorgehen kann. Der Stärke nachgeben ist ein Akt der
Notwendigkeit, nicht des Willens; bestenfalls ein Akt der Klugheit. In welchem Sinne
könnte es zur Pflicht werden? (385)
Da kein Mensch eine natürliche Autorität über seinesgleichen hat und die Stärke keinerlei
Recht stiftet, bleiben die Übereinkünfte als Grundlage jeglicher legitimen Autorität unter den
Menschen. (386)
Auf seine Freiheit verzichten heißt auf seine Qualität als Mensch, auf die Rechte des
Menschseins, sogar auf sein Pflichten verzichten. Es gibt keine mögliche Entschädigung für
den, der auf alles verzichtet. Ein solcher Verzicht ist mit der Natur des Menschen
unvereinbar, und man nimmt seinen Taten jede Moralität, wenn seinem Willen jede Freiheit
genommen wird. Es ist eine sinnlose und widersprüchliche Übereinkunft, auf der einen Seite
eine absolute Autorität und auf der anderen eine grenzenlosen Gehorsam zu setzen. Ist es
nicht klar, daß man dem gegenüber zu nichts verpflichtet ist, von dem man alles zu verlangen
das Recht hat? (387)
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Es wird stets ein großer Unterschied zwischen der Unterjochung einer Menge und der
Regierung einer Gesellschaft stattfinden. In wie großer Anzahl auch zerstreute Menschen nach
und nach von einem einzelnen unterjocht werden, so sehe ich dabei doch nur einen Herrn und
Sklaven; ich erblicke darin kein Volk und sein Oberhaupt. (390)
Es ist, wenn man will, eine Zusammenhäufung, aber keine genossenschaftliche Gesellschaft;
es ist weder ein allgemeines Beste noch ein Staatskörper vorhanden. Dieser Mensch ist, wenn
er auch die halbe Welt unterjocht hätte, immer nur ein Privatmann, und sein Interesse, sobald
es von dem der übrigen losgelöst ist, immer nur ein Privatinteresse. Nach seinem Tode bleibt
sein Reich zerstückt und ohne Verbindung zurück, wie eine Eiche, wenn sie vom Feuer
verzehrt ist, sich auflöst und in einen Aschenhaufen zerfällt. (ebenda)
Ich nehme an, daß sich die Menschen bis zu der Stufe emporgeschwungen haben, wo die
Hindernisse, die ihrer Erhaltung in dem Naturzustand schädlich sind, durch ihren Widerstand
die Oberhand über die Kräfte gewinnen, die jeder einzelne aufbieten muß, um sich in diesem
Zustand zu behaupten. Dann kann dieser ursprüngliche Zustand nicht länger fortbestehen, und
das menschliche Geschlecht müßte zugrunde gehen, wenn es die Art seines Daseins nicht
änderte.
Da nun die Menschen unfähig sind, neue Kräfte hervorzubringen, sondern lediglich die einmal
vorhandenen zu vereinigen und zu lenken vermögen, so haben sie zu ihrer Erhaltung kein
anderes Mittel, als durch Vereinigung eine Summe von Kräften zu bilden, die den Widerstand
überwinden kann, und alle diese Kräfte durch eine einzige Triebkraft in Bewegung zu setzen
und sie in Einklang wirken zu lassen.
Eine solche Summe von Kräften kann nur durch das Zusammenwirken mehrerer entstehen.
Da jedoch die Stärke und die Freiheit jedes Menschen die Hauptwerkzeuge seiner Erhaltung
sind, wie kann er sie hergeben, ohne sich Schaden zu tun und die Sorgfalt zu versäumen, die
er sich schuldig ist? Diese Schwierigkeit läßt sich, wenn man sie auf den Gegenstand meiner
Betrachtung anwendet, in die Worte zusammenfassen:
Es ist eine Form der Assoziation zu finden, die mit der ganzen gemeinsamen Kraft die Person
und die Habe jedes Assoziierten verteidigt und schützt und durch die jeder, mit allen vereint,
dennoch nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt, wie zuvor. Das ist das Grundproblem, das
der Gesellschaftsvertrag löst. (391-2)
...die völlige Übereignung eines jeden Assoziierten mit allen seine Rechten an die
Gemeinschaft: da sich jeder ganz übereignet, ist die Bedingung für alle gleich; und da die
Bedingung die gleiche für alle ist, hat niemand daran Interesse, sie für die anderen drückend
zu machen.
Da ferner die Übereignung ohne Einschränkung geschieht, ist die Vereinigung so
vollkommen, wie sie nur sein kann, und kein Assoziierte kann weitere Ansprüche
stellen...Indem schließlich jeder sich allen gibt, gibt er sich niemandem, und da man über
jeden Assoziierten das gleiche Recht erwirbt, das man ihm über sich selbst gewährt, gewinnt
man das Äquivalent all dessen, was man verliert, und mehr Kraft, das zu bewahren, was man
hat. Grenzt man also vom Gesellschaftsvertrag aus, was nicht zu seinem Wesen gehört, ist er
auf folgende Worte zu reduzieren; Jeder von uns unterstellt gemeinschaftlich seine Person
und seine ganze Kraft der höchsten Leitung des Gemeinwillens, und wir empfangen als
Körper jedes Glied als untrennbaren Teil des Ganzen. Dieser Assoziierungsakt bringt sofort
anstelle der besonderen Person eines jeden Vertragschließenden einen moralischen und
Kollektiven Körper hervor, der aus ebenso viele Mitgliedern besteht, wie die Versammlung
Stimmen hat, und der durch eben diesen Akt seine Einheit, sein gemeinsames Ich, sein Leben
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und seinen Willen erhält. Diese öffentliche Person, die auf diese Weise aus der Vereinigung
aller anderen entsteht, nannte sich früher Stadtstaat (Cité), heute Republik oder politische
Körper. Er wird von seinen Mitgliedern Staat genannt, wenn er passiv, Souverän, wenn er
aktive ist, Macht, wenn er mit seinesgleichen verglichen wird. Die Assoziierten nehmen
kollektiv den Namen Volk an; sie nennen sich als einzelne Staatsbürger (Citoyens), sofern sie
an der souveränen Gewalt teilhaben, und Untertanen (Sujets) als den Gesetzten des Staates
unterworfen. (392-393)
Aus jener Formel erkennt man, daß der Gesellschaftsvertrag eine gegenseitige Verpflichtung
zwischen dem Gemeinwesen und den einzelnen in sich schließt, und daß sich jeder einzelne,
da er gleichsam mit sich selbst einen Vertrag abschließt, doppelt verpflichtet sieht, und zwar
als Glied des Staatsoberhauptes gegen die einzelnen und als Glied des Staates gegen das
Staatsoberhaupt. Hier darf man jedoch den Grundsatz des bürgerlichen Rechtes, daß niemand
an gegen sich selbst eingegangene Verpflichtungen gebunden sei, nicht in Anwendung
bringen, denn es ist ein großer Unterschied zwischen einer Verpflichtung gegen sich selbst
und einer Verpflichtung gegen ein Ganzes, von dem man einen Teil bildet. (394)
...da aber der Staatskörper oder das Staatsoberhaupt sein Dasein nur aus der Heiligkeit des
Vertrages schöpft, kann es sich gegen einen anderen nie selbst zu etwas verpflichten, was eine
Zuwiderhandlung gegen diesen Urvertrag hervorbringen würde, wie etwa zur Veräußerung
eines Teils seiner selbst oder zur Unterwerfung unter ein anderes Oberhaupt. Die Verletzung
des Vertrages, durch den es sein Dasein erhält, würde seine Selbstvernichtung sein, und ein
Nichts kann nichts schaffen.
Sobald die Menge auf solche Weise zu einem Körper vereinigt ist, kann man keines seiner
Glieder verletzen, ohne den Körper anzugreifen, und noch weniger den Körper verletzen, ohne
daß die Glieder darunter leiden. So verbinden Pflicht und Interesse beide vertragschließenden
Teile in gleicher Weise, sich gegenseitig Beistand zu leisten, und in dieser doppelten
Beziehung müssen die nämlichen Menschen darauf bedacht sein, alle daraus hervorgehenden
Vorteile zu vereinigen.
Das Staatsoberhaupt nun, das nur aus den einzelnen, aus denen es besteht, gebildet wird,
hat und kann kein dem ihrigen zuwiderlaufendes Interesse haben; folglich bedarf die
oberherrliche Macht den Untertanen gegenüber keiner Bürgschaft, da ja der Körper unmöglich
den Willen haben könnte, allen seinen Gliedern zu schaden; und wir werden später sehen, daß
er einem einzelnen nicht schaden kann. Schon durch sein bloßes Dasein ist das
Staatsoberhaupt stets, was es sein soll.
Anders jedoch ist die Stellung der Untertanen dem Staatsoberhaupte gegenüber, das trotz
des gemeinschaftlichen Interesses keine Bürgschaft für ihre Verpflichtungen besitzen würde,
wenn es nicht Mittel fände, sich ihrer Treue zu versichern.
In der Tat kann jeder einzelne als Mensch einen besonderen Willen haben, der dem
allgemeinen Willen, den er als Staatsbürger hat, zuwiderläuft oder mit dem er doch nicht
überall in Einklang steht. Sein besonderes Interesse kann ganz andere Anforderungen an ihn
stellen als das gemeinsame Interesse; sein selbständiges und von Natur unabhängiges Dasein
kann ihm das, was er dem Gemeinwesen schuldig ist, als eine freiwillige Beisteuer erscheinen
lassen, deren Verlust den anderen einen geringeren Schaden bereiten würde, als ihm die Last
der Abtragung verursacht. Das Individuum würde die moralische Person, die den Staat
ausmacht, nur als eine Idee auffassen können, weil sie eben kein Mensch ist, und die Rechte
des Staatsbürgers genießen, ohne die Pflichten des Untertans erfüllen zu wollen, eine
Ungerechtigkeit, deren Umsichgreifen den Untergang des Staatskörpers herbeiführen würde.
Damit demnach der Gesellschaftsvertrag keine leere Form sei, enthält er stillschweigend
folgende Verpflichtung, die allein den übrigen Kraft gewähren kann; sie besteht darin, dass
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jeder, der dem allgemeinen Willen den Gehorsam verweigert, von dem ganzen Körper dazu
gezwungen werden soll; das hat keine andere Bedeutung, als dass man ihn zwingen werde,
frei zu sein. Denn die persönliche Freiheit ist die Bedingung, die jedem Bürger dadurch, dass
sie ihn dem Vaterlande einverleibt, Schutz gegen jede persönliche Abhängigkeit verleiht, eine
Bedingung, die die Stärke und Beweglichkeit der Staatsmaschine ausmacht und den
bürgerlichen Verpflichtungen, die ohne sie sinnlos, tyrannisch und den ausgedehntesten
Missbräuchen ausgesetzt wären, Rechtmäßigkeit gibt. (394-396)
Der Übergang aus dem Naturzustande in das Staatsbürgertum bringt in dem Menschen eine
sehr bemerkbare Veränderung hervor, indem in seinem Verhalten die Gerechtigkeit an die
Stelle des Instinktes tritt und sich in seinen Handlungen der sittliche Sinn zeigt, der ihnen
vorher fehlte. Erst in dieser Zeit verdrängt die Stimme der Pflicht den physischen Antrieb und
das Recht der Begierde, so dass sich der Mensch, der bis dahin lediglich auf sich selbst
Rücksicht genommen hatte, gezwungen sieht, nach anderen Grundsätzen zu handeln und seine
Vernunft um Rat fragt, bevor er auf seine Neigungen hört. Obgleich er in diesem Zustande
mehrere Vorteile, die ihm die Natur gewährt, aufgibt, so erhält er dafür doch so bedeutende
andere Vorteile. Seine Fähigkeiten üben und entwickeln sich, seine Ideen erweitern, seine
Gesinnungen veredeln, seine ganze Seele erhebt sich in solchem Grade, daß er, wenn ihn die
Mißbräuche seiner neuen Lage nicht oft noch unter die, aus der er hervorgegangen,
erniedrigte, unaufhörlich den glücklichen Augenblick segnen müßte, der ihn dem
Naturzustande auf ewig entriß und aus einem ungesitteten und beschränkten Tiere ein
einsichtsvolles Wesen, einen Menschen machte.
Führen wir die ganze Vergleichung beider Zustände auf einige Punkte zurück, bei denen die
Unterschiede am klarsten hervortreten. Der Verlust, den der Mensch durch den
Gesellschaftsvertrag erleidet, besteht in dem Aufgeben seiner natürlichen Freiheit und des
unbeschränkten Rechtes auf alles, was ihn reizt und er erreichen kann. Sein Gewinn äußert
sich in der bürgerlichen Freiheit und in dem Eigentumsrecht auf alles, was er besitzt. Um sich
bei dem Abwägen der Vorteile beider Stände keinem Irrtume hinzugeben, muß man die
natürliche Freiheit, die nur in den Kräften des einzelnen ihre Schranken findet, von der durch
den allgemeinen Willen beschränkten, bürgerlichen Freiheit genau unterscheiden und in
gleicher Weise den Besitz, der nur die Wirkung der Stärke oder das Recht des ersten
Besitzergreifers ist, von dem Eigentum, das nur auf einen sicheren Rechtsanspruch gegründet
werden kann.
Nach dem Gesagten würde man noch zu den Vorteilen des Staatsbürgertums die sittliche
Freiheit hinzufügen können, die allein den Menschen erst in Wahrheit zum Herrn über sich
selbst macht; denn der Trieb der bloßen Begierde ist Sklaverei, und der Gehorsam gegen das
Gesetz, das man sich selber vorgeschrieben hat, ist Freiheit. (396-7)
Über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den
Menschen
Was nun? Soll man die Gesellschaften zerstören, mein und dein abschaffen und in die Wälder
zurückgehen, um mit den Bären zu leben? Dies wäre eine Schlussfolgerung nach der Art
meiner Gegner, der ich ebenso gern zuvorkomme, wie ich ihnen die Peinlichkeit überlasse, sie
zu ziehen. O ihr, die ihr niemals die Stimme des Himmels vernommen habt und für eure Art
keine andere Bestimmung kennt als die, in Frieden dieses kurzen Leben zu beschließen, ihr,
die ihr eure verhängnisvollen Erwerbungen, euren unruhigen Geist, eure verdorbenes Herz
und eure zügellosen Wünsche in den Städten zurücklassen könnt, greift, denn auf euch kommt
es an, eure alte und ursprüngliche Unschuld wieder auf, geht in die Wälder, um die
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Verbrechen eurer Zeitgenossen aus dem Blick und dem Gedächtnis zu verlieren, und fürchtet
nicht, eure Art zu erniedrigen, indem ihr auf eure Bildung verzichtet, um auf ihre Laster
verzichten zu können. Was aber meinesgleichen betrifft, Menschen deren Leidenschaften für
immer die ursprüngliche Einfachheit zerstört haben, die sich nicht mehr von Kräutern und
Eicheln ernähren noch auf Gesetze und Anführer verzichten können; Menschen, die davon
überzeugt sind, dass die göttliche Stimme das ganze Menschengeschlecht zur Einsicht und
zum Glück der erhabenen Geister berufen hat; all jene also werden danach trachten, durch die
Übung in Tugenden, die selbst zu verwirklichen sie sich verpflichtet fühlen, wenn sie deren
Erkenntnis lehren, den ewigen Lohn zu verdienen, den sie dabei erwarten dürfen. Sie werden
die heiligen Bande der Gesellschaft, deren Mitglieder sie sind, achten, sie werden ihre
Artgenossen lieben und ihnen von Kräften dienen, sie werden gewissenhaft die Gesetze
befolgen und den Männern gehorchen, die deren Urheber und Hüter sind. Sie werden vor
allem die guten und weisen Fürsten ehren, die es verstehen, den Missbrauchen und Übeln, die
uns in großer Zahl ständig bedrohen, zuvorzukommen, sie zu heilen oder zu lindern. Sie
werden den Eifer der würdigen Oberhäupter schüren, indem sie ihnen unerschrocken und ohne
Schmeichelei die Größe ihrer Aufgabe und die Strenge ihrer Pflicht vor Augen führen. Doch
sie werden darum nicht weniger eine Verfassung verachten, die sich nur mit Hilfe so vieler
achtenswerter Leute, die man sich häufiger wünscht, als man sie antrifft, aufrechterhalten lässt
und aus der, aller Sorgfalt zum Trost, stets mehr tatsächliches Unheil als scheinbarer Vorteil
entsteht. (292-3)
Julie ou La Nouvelle Héloïse
So lange man begehrt, kann man sich für glücklich erachten; man erwartet glücklich zu
werden. Wenn nun das Glück nicht eintritt, so dehnt sich die Hoffnung eben weiter aus und
der Reiz der Einbildung hält so lange an, wie die Leidenschaft, welche sie verursacht. Auf
dieser Weise genügt dieser Zustand sich selbst und die Unruhe, welche er verbreitet ist eine
Art Seligkeit, welche die Realität ergänzt und vielleicht von noch größerer Geltung hat.
Unglücklich die, welche nichts mehr begehren! Sie verlieren sozusagen alles, was sie
besitzen. Man freut sich weniger über das, was man bekommen hat als darüber, was man sich
noch erhofft und glücklich ist der Mensch nur solange, bis er sein Glück erreicht hat.
In der Tat, dem Menschen, ebenso begehrend wie begrenzt, der alles tut, um Alles zu wollen
und wenig zu erhalten, ihm ist vom Himmel ein Trost geschenkt, der ihm nahebringt all das,
was er begehrt und ihm seiner Einbildungskraft unterwirft, die es gegenwärtig und spürbar
macht und es ihm sozusagen ausliefert und, um dieses geistige Eigentum noch süßer zu
gestalten, stellt es ihm der Willkür seiner Leidenschaften anheim. Aber diese ganze
Herrlichkeit verschwindet im Angesicht des Objekts selbst. Nichts mehr schmückt dieses
Objekt in den Augen des Besitzers; Wir bilden nichts ein, wo die Sache schon vor uns
ausgebreitet liegt. Die Einbildungskraft hört auf das gestalten, was schon Besitz geworden ist.
Der Traum stirbt, wo der Genuss beginnt. Das Land der Chimären ist in dieser Welt das
einzige, das würdig ist von Menschen bewohnt zu werden und so ist es mit der Nichtigkeit des
Menschen bestellt, dass außer dem Wesen, welches durch sich selbst besteht (Gott), es nichts
Schönes gibt, als was nicht ist. (6.Teil, Brief VIII)
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II. Schiller
Stichwörter: die Schönheit ist die Freiheit in der Erscheinung; der Notstaat, moralische Treib, Naturtrieb,
ästhetische Kultur, die Menschheit, die Natur des Menschen; Geschmack, die Ästhetische Erziehung des
Menschen
Über naive und sentimentalische Dichtung
Es gibt Augenblicke in unserem Leben, wo wir der Natur in Pflanzen, Mineralen, Tieren,
Landschaften, sowie der menschlichen Natur in Kindern, in den Sitten des Landvolks und der
Urwelt, nicht weil sie unseren Sinnen wohltut, auch nicht weil sie unsern Verstand oder
Geschmack befriedigt (von beiden kann oft das Gegenteil stattfinden), sondern bloß weil sie
Natur ist, eine Art von Liebe und von rührender Achtung widmen. Jeder feinere Mensch, dem
es nicht ganz und gar an Empfindung fehlt, erfährt dieses, wenn er im Freien wandelt, wenn er
auf dem Lande lebt oder sich bei den Denkmälern der alten Zeiten verweilet, kurz, wenn er in
künstlichen Verhältnissen und Situationen mit dem Anblick der einfältigen Natur überrascht
wird.
Dieses nicht selten zum Bedürfnis erhöhte Interesse ist es, was vielen unserer Liebhabereien
für Blumen und Tiere, für einfache Gärten, für Spaziergänge, für das Land und seine
Bewohner, für manche Produkte des fernen Altertums u. dgl. Zum Grund liegt; vorausgesetzt,
daß weder Affektationen noch sonst ein zufälliges Interesse dabei im Spiele sei. Diese Art des
Interesse an der Natur findet aber nur unter zwei Bedingungen statt. Fürs erste ist es durchaus
nötig, daß der Gegenstand, der uns dasselbe einflößt, Natur sei oder doch von uns dafür
gehalten werde; zweitens, daß er (in weitester Bedeutung des Wortes) naiv sei, das heißt, daß
die Natur mit der Kunst im Kontraste stehe und sie beschäme. Sobald das letzte zu dem
ersten hinzukommt, und nicht eher, wird die Natur zum Naiven.
Natur in dieser Betrachtungsart ist uns nichts anderes als das freiwillige Dasein, das Bestehen
der Dinge durch sich selbst, die Existenz nach eignen und unabänderlichen Gesetzen.
Diese Vorstellung ist schlechterdings nötig, wenn wir an dergleichen Erscheinungen Interesse
nehmen sollen. Könnte man einer gemachten Blumen den Schein der Natur mit der
vollkommensten Täuschung geben, könnte man die Nachahmung des Naiven in den Sitten bis
zur höchsten Illusion treiben, so würde die Entdeckung, daß es Nachahmung sei, das Gefühl,
von die Rede ist, gänzlich vernichten. Daraus erhellt, daß diese Art des Wohlgefallens an der
Natur kein ästhetisches, sondern ein moralischen ist; denn es wird durch eine Idee vermittelt,
nicht unmittelbar durch Betrachtung erzeugt; auch richtet es sich ganz und gar nicht nach der
Schönheit der Formen.
Was hätte auch ein unscheinbare Blume, eine Quelle, ein bemooste Stein, das Gezwitscher der
Vögel, das Summen der Bienen usw. für sich selbst so Gefälliges für uns? Was könnte ihm
gar einen Anspruch auf unsere Liebe geben? Es sind nicht die Gegenstände, es ist eine durch
sie dargestellte Idee, was wir in ihnen lieben. Wir lieben in ihnen das stille schaffende Leben,
das ruhige Wirken aus sich selbst, das Dasein nach eignen Gesetzen, die innere
Notwendigkeit, die ewige Einheit mit sich selbst. Sie sind, was wir waren; sie sind, was wir
wieder werden sollen. Wir waren Natur wie sie, unsere Kultur soll uns, auf dem Wege der
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Vernunft und der Freiheit, zur Natur zurückführen. Sie sind also zugleich Darstellung unserer
verlorenen Kindheit, die uns ewig das Teuerste bleibt; daher sie uns mit einer gewissen
Wehmut erfüllen. Zugleich sind sie Darstellungen unserer höchsten Vollendung im Ideale,
daher sie uns in eine erhabene Rührung versetzen.
Aber ihrer Vollkommenheit ist nicht ihr Verdienst, weil sie nicht das Werk ihrer Wahl ist. Sie
gewähren uns also die ganz eigene Lust, daß sie, ohne uns zu beschämen, unser Muster sind.
Eine beständige Göttererscheinung, umgeben sie uns, aber mehr erquickend als blendend.
Was ihren Charakter ausmacht, ist gerade das, was dem unsrigen zu seiner Vollendung
mangelt; was uns von ihnen unterscheidet, ist gerade das, was ihnen selbst zur Göttlichkeit
fehlt. Wir sind frei, und sie sind notwendig; wir wechseln, sie bleiben eins. Aber nur, wenn
beides sich miteinander verbindet – wenn der Wille das Gesetz der Notwendigkeit frei befolgt
und bei allem Wechsel der Phantasie die Vernunft ihre Regel behauptet, geht das Göttliche
oder das Ideal hervor.
Wir erblicken in ihnen also ewig das, was uns abgeht, aber wonach wir aufgefordert sind zu
ringen, und dem wir uns, wenn wir es gleich niemals erreichen, doch in einem unendlichen
Fortschritte zu nähern hoffen dürfen. Wir erblicken in uns einen Vorzug, der ihnen fehlt, aber
dessen sie entweder überhaupt niemals, wie das Vernunftlose, oder nicht anders als indem sie
unsern Weg gehen, wie die Kindheit, teilhaftig werden können. Sie verschaffen uns daher den
süßesten Genuß unserer Menschheit als Idee, ob sie uns gleich in Rücksicht auf jeden
bestimmten Zustand unserer Menschheit notwendig demütigen müssen...die Natur wird auch
auf den Gefühllosesten immer etwas von dieser Wirkung äußern, weil schon die, allen
Menschen gemeinsame, Anlage zum Sittlichen dazu hinreichend ist und wir alle ohne
Unterschied, bei noch so großer Entfernung unserer Taten von der Einfalt und Wahrheit der
Natur, in der Idee dazu hingetrieben werden. (547 - 549)
Naiv muß jedes wahre Genie sein, oder es ist keines. Seine Naivität allein macht es zu Genie,
und was es im Intellektuellen und Ästhetischen ist, kann es im Moralischen nicht verleugnen.
Unbekannt mit den Regeln, den Krücken der Schwachheit und den Zuchtmeistern der
Verkehrtheit, bloß von der Natur oder dem Instinkt, seinem schützenden Engel, geleitet, geht
es ruhig und sicher durch alle Schlingen des falschen Geschmackes, in welchen, wenn es nicht
so klug ist, sie schon von weitem zu vermeiden, das Nichtgenie unausbleiblich verstrickt wird.
Nur dem Genie ist es gegeben, außerhalb des Bekannten noch immer zu Hause zu sein und die
Natur zu erweitern, ohne über sie hinaus zu gehen. Zwar begegnet letzteres zuweilen auch
den größten Genies, aber nur, weil auch diese ihre phantastischen Augenblicke haben, wo die
schützende Natur sie verläßt, weil die Macht des Beispiels sie hinreißt oder der verderbte
Geschmack ihrer Zeit sie verleitet. Die verwickeltsten Aufgaben muß das Genie mit
anspruchsloser Simplizität und Leichtigkeit lösen; das Ei des Kolumbus gilt von jeder
genialischen Entscheidung. Dadurch allein legitimiert es sich als Genie, daß es durch Einfalt
über die verwickelte Kunst triumphiert. Es verfährt nicht nach erkannten Prinzipien, sondern
nach Einfällen und Gefühlen; aber seine Einfälle sind Eingebungen eines Gottes (alles, was
die gesunde Natur tut, ist göttlich), seine Gefühle sind Gesetze für alle Zeiten und für alle
Geschlechter der Menschen. (557)
Frei und natürlich, wie das Genie in seinen Geisteswerken, drückt sich die Unschuld des
Herzens im lebendigen Umgang aus. Bekanntlich ist man im gesellschaftlichen Leben von der
Simplizität und strengen Wahrheit des Ausdrucks in demselben Verhältnis wie von der Einfalt
der Gesinnungen abgekommen, und die leicht zu verwundende Schuld sowie die leicht zu
verführende Einbildungskraft haben einen ängstlichen Anstand notwendig gemacht. (559)
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Die Unzufriedenheit über unsere eigene schlecht gebrauchte moralische Freiheit und über die
in unserem Handeln vermißte sittliche Harmonie führt leicht eine solche Stimmung herbei, in
der wir das Vernunftlose wie eine Person anreden und demselben, als wenn es wirklich mit
einer Versuchung zum Gegenteil zu kämpfen gehabt hätte, seine ewige Gleichförmigkeit zum
Verdienst machen, seine ruhige Haltung beneiden. Es steht uns in einem solchen Augenblicke
wohl an, daß wir das Prärogativ unserer Vernunft für einen Flucht und für ein Übel halten und
über dem lebhaften Gefühl der Unvollkommenheit unseres wirklichen Leistens die
Gerechtigkeit gegen unsere Anlage und Bestimmung aus den Augen setzen.
Wir sehen alsdann in der unvernünftigen Natur nur eine glücklichere Schwester, die in dem
mütterlichen Hause zurückblieb, aus welchem wir im Übermut unserer Freiheit heraus in die
Fremde stürmten. Mit schmerzlichem Verlangen sehen wir uns dahin zurück, sobald wir
angefangen, die Drangsale der Kultur zu erfahren, und hören im fernen Auslande der Kunst
der Mutter rührende Stimme. Solange wir bloße Naturkinder waren, waren wir glücklich und
vollkommen; wir sind frei geworden und haben beides verloren. Daraus entspringt eine
doppelte uns sehr ungleiche Sehnsucht nach der Natur, eine Sehnsucht nach ihrer
Glückseligkeit, eine Sehnsucht nach ihrer Vollkommenheit. Den Verlust der ersten beklagt
nur der sinnliche Mensch; um den Verlust der anderen kann nur der moralischen trauern.
Frage dich also wohl, empfindsamer Freund der Natur, ob deine Trägheit nach ihrer Ruhe, ob
deine beleidigte Sittlichkeit nach ihrer Übereinstimmung schmachtet? Frage dich wohl, wenn
die Kunst dich anekelt und die Mißbräuche in der Gesellschaft dich zu der leblosen Natur in
die Einsamkeit treiben, ob es ihre Beraubung, ihre Lasten, ihre Mühseligkeiten, oder ob es
ihre moralische Anarchie, ihre Willkür, ihre Unordnungen sind, die du an ihr verabscheust?
In jene muß dein Mut sich mit Freuden stürzen, und dein Ersatz muß die Freiheit selbst sein,
aus der sie fließen. Wohl darfst du dir das ruhige Naturglück zu Ziel in der Ferne aufstecken,
aber nur jenes, welches der Preis deiner Würdigkeit ist. Also nichts von Klagen über die
Erschwerung des Lebens, über die Ungleichheit der Konditionen, über den Druck der
Verhältnisse, über die Unsicherheit des Besitzes, über Undank, Unterdrückung, Verfolgung;
allen Übeln der Kultur mußt du mit freier Resignation dich unterwerfen, mußt sie als die
Naturbedingungen des einzig Guten respektieren; nur das Böse derselben mußt du, aber nicht
bloß mit schlaffen Tränen, beklagen. Sorge vielmehr dafür, daß du selbst unter jenen
Befleckungen rein, unter jener Knechtschaft frei, unter jenem launischen Wechsel beständig,
unter jener Anarchie gesetzmäßig handelst. Fürchte dich nicht vor der Verwirrung außer dir,
aber vor der Verwirrung in dir; strebe nach Ruhe, aber durch das Gleichgewicht, nicht durch
den Stillstand deiner Tätigkeit. Jene Natur, die du dem Vernunftlosen beneidest, ist keiner
Achtung, keiner Sehnsucht wert. Sie liegt hinter dir, sie muß ewig hinter dir liegen.
Verlassen von der Leiter, die dich trug, bleibt dir jetzt keine andere Wahl mehr, als mit freiem
Bewußtsein und Willen das Gesetz zur ergreifen oder rettungslos in eine bodenlose Tiefe zu
fallen.
Aber wenn du über das verlorene Glück der Natur getröstet bist, so laß ihre Vollkommenheit
deinem Herzen zum Muster dienen. Trittst du heraus zu ihr aus deinem künstlichen Kreis,
steht sie vor dir in ihrer großen Ruhe, in ihrer naiven Schönheit, in ihrer kindlichen Unschuld
und Einfalt – dann verweile bei diesem Bilde, pflege dieses Gefühl, es ist deiner herrlichsten
Menschheit würdig. Laß dir nicht mehr einfallen, mit ihr tauschen zu wollen, aber nimm sie
in dich auf und strebe, ihren unendlichen Vorzug mit deinem eigenen unendlichen Prärogative
zu vermählen und aus beidem das Göttliche zu erzeugen. Sie umgebe dich wie eine liebliche
Idylle, in der du dich selbst immer wiederfindest aus den Verirrungen der Kunst, bei der du
Mut und neues Vertrauen sammelst zu Laufe und die Flamme des Ideals, die in den Stürmen
des Lebens so leicht erlischt, in deinem Herzen von neuem entzündest. (560-561)
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Woher wohl dieser (von dem griechischen so) verschiedene Geist? Wie kommt es, daß wir,
die in allem, was Natur ist, von den Alten so unendlich weit übertroffen werden, gerade hier
der Natur in einem höheren Grade huldigen, mit Innigkeit an ihr hängen und selbst die leblose
Welt mit der wärmsten Empfindung umfassen können? Daher kommt es, weil die Natur bei
uns aus der Menschheit verschwunden ist und wir sie nur außerhalb dieser, in der unbeseelten
Welt, in ihrer Wahrheit wieder antreffen. Nicht unsere größere Naturmäßigkeit, ganz im
Gegenteil die Naturwidrigkeit unser Verhältnisse, Zustände, und Sitten treibt uns an, dem
erwachende Triebe nach Wahrheit und Simplizität, der, wie die moralische Anlage, aus
welcher er fließt, unbestechlich und unaustilgbar in allen menschlichen Herzen liegt, in der
physischen Welt eine Befriedigung zu verschaffen, die in der moralischen nicht zu hoffen ist.
Deswegen ist das Gefühl, womit wir an der Natur hängen, dem Gefühl so nahe verwandt,
womit wir das entflohene Alter der Kindheit und der kindlichen Unschuld beklagen. Unsere
Kindheit ist die einzige unverstümmelte Natur, die wir in der kultivierten Menschheit noch
antreffen, daher es kein Wunder ist, wenn uns jede Fußstapfe der Natur außer uns auf unsre
Kindheit zurückführt.(562-563)
Die poetische Darstellung unschuldiger und glücklicher Menschheit ist der allgemeine Begriff
dieser (der Idylle) Dichtungsart. Weil diese Unschuld und dieses Glück mit den künstlichen
Verhältnissen der größern Sozietät und mit einem gewissen Grad von Ausbildung und
Verfeinerung unverträglich schienen, so habe die Dichter den Schauplatz der Idylle aus dem
Gedränge des bürgerlichen Lebens heraus in den einfachen Hirtenstand verlegt und derselben
ihre Stelle vor dem Anfange der Kultur in dem kindlichen Alter der Menschheit angewiesen.
Man begreift wohl, daß diese Bestimmungen bloß zufällig sind, daß sie nicht als der Zweck
der Idylle, bloß als das natürlichste Mittel zu demselben in Betrachtung kommen. Der Zweck
selbst ist überall nur der, den Menschen im Stand der Unschuld, das heißt, in einem Zustand
der Harmonie und des Friedens mit sich selbst und von außen darzustellen.
Aber ein solcher Zustand findet nicht bloß vor dem Anfange der Kultur statt, sondern er ist es
auch, den die Kultur, wenn sie überall nur eine bestimmte Tendenz haben soll, als ihr letztes
Ziel beabsichtigt. Die Idee dieses Zustandes allein und der Glaube an die mögliche Realität
derselben kann den Menschen mit allen den Übeln versöhnen, denen er auf dem Wege der
Kultur unterworfen ist...Dem Menschen, der in der Kultur begriffen ist, liegt also unendliche
viel daran, von der Ausführbarkeit jener Idee in der Sinnenwelt, von der möglichen Realität
jenes Zustandes eine sinnlichen Bekräftigung zu erhalten, und da die wirkliche Erfahrung,
weit entfernt, diesen Glauben zu nähren, ihn vielmehr beständig widerlegt, so kommt auch
hier, wie in so vielen anderen Fällen, das Dichtungsvermögen der Vernunft zu Hilfe, um jene
Idee zur Anschauung zu bringen und einem einzelnen Fall zu verwirklichen.
Zwar ist auch jene Unschuld des Hirtenstandes eine poetische Vorstellung, und die
Einbildungskraft mußte sich mithin auch dort schon schöpferisch beweisen; aber außerdem
daß die Aufgabe dort ungleich einfacher und leichter zu lösen war, so fanden sich in der
Erfahrung selbst schon die einzelnen Züge vor, die sie nur auszuwählen und in ein Ganzes zu
verbinden brauchte. Unter einem glücklichen Himmel, in den einfachen Verhältnissen des
ersten Standes, bei einem beschränkten Wissen wird die Natur leicht befriedigt, und der
Mensch verwildert nicht eher, als bis das Bedürfnis ihn ängstigt. Alle Völker, die eine
Geschichte haben, haben ein Paradies, einen Stand der Unschuld, ein goldnes Alter; ja jeder
einzelnen Mensch hat sein Paradies, sein goldenes Alter, dessen er sich, je nachdem er mehr
oder weniger Poetisches in seiner Natur hat, mit mehr oder weniger Begeisterung erinnert.
Die Erfahrung selbst bietet als Züge genug zu dem Gemälde dar, welches die Hirtenidylle
behandelt. Deswegen bleibt aber diese immer eine schöne, eine erhebende Fiktion, und die
Dichtungskraft hat in Darstellung derselben wirklich für das Ideal gearbeitet. Denn für den
Menschen, der von der Einfalt der Natur einmal abgewichen und der gefährlichen Führung
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seiner Vernunft überliefert worden ist, ist es von unendlicher Wichtigkeit, die Gesetzgebung
der Natur in einem reinen Exemplar wieder anzuschauen und sich von den Verderbnissen der
Kunst in diesem treuen Spiegel wieder reinigen zu können. (597-598)
Der Begriff der Idylle ist der Begriff eines völlig aufgelösten Kampfes sowohl in dem
einzelnen Menschen als in der Gesellschaft, einer freien Vereinigung der Neigungen mit dem
Gesetz, einer zur höchsten sittlichen Würde hinaufgeläuterten Natur, kurz, er ist kein anderer
als das Ideal der Schönheit, auf das wirkliche Leben angewendet...Ruhe wäre also der
herrschende Eindruck dieser Dichtungsart, aber Ruhe der Vollendung, nicht der Trägheit; eine
Ruhe, die aus dem Gleichgewicht, nicht aus dem Stillstand der Kräfte, die aus der Fülle, nicht
aus der Leerheit fließt und von dem Gefühl eines unendlichen Vermögens begleitet wird.
(602)
Über die Notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen
Die Wirkungen des Geschmacks, überhaupt genommen, sind die sinnlichen und geistigen
Kräfte des Menschen in Harmonie zu bringen und in einem innigen Bündnis zu vereinigen.
Wo also ein solches inniges Bündnis zwischen der Vernunft und den Sinnen zweckmäßig und
rechtmäßig ist, da ist dem Geschmack ein Einfluß zu gestatten.
Man sagt...ganz richtig, daß die echte Moralität sich nur in der Schule der Widerwärtigkeit
bewähre und eine anhaltende Glückseligkeit leicht eine Klippe der Tugend werde. Glückselig
nenne ich den, der, um zu genießen, nicht nötig hat, unrecht zu tun, und, um recht zu handeln,
nicht nötig hat, zu entbehren. Der ununterbrochen glückliche Mensch sieht also die Pflicht
nie von Angesicht, weil seine gesetzmäßigen und geordneten Neigungen das Gebot der
Vernunft immer antizipieren und keine Versuchung zum Bruch des Gesetzes das Gesetz bei
ihm in Erinnerung bringt. Einzig durch den Schönheitssinn, den Statthalter der Vernunft in
der Sinnenwelt, regiert, wird er zu Grabe gehen, ohne die Würde seiner Bestimmung zu
erfahren. Der Unglückliche hingegen, wenn er zugleich ein Tugendhafter ist, genießt den
erhabenen Vorzug, mit der göttlichen Majestät des Gesetzes unmittelbar zu verkehren und, da
seiner Tugend keine Neigung hilft, Die Freiheit des Dämons noch als Mensch zu beweisen.
(537)
Über das Erhabene
„Kein Mensch muß müssen„.....Der Wille ist der Geschlechtscharakter des Menschen, und die
Vernunft selbst ist nur die ewige Regel desselben. Vernünftig handelt die ganze Natur; sein
Prärogative ist bloß, daß er mit Bewußtsein und Willen vernünftig handelt. Alle andere Dinge
müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will. Eben deswegen ist des Menschen nichts so
unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns antut, macht uns
nichts Geringeres als die Menschheit streitig...Aber dieser Anspruch auf absolute Befreiung
von allem, was Gewalt ist, scheint ein Wesen vorauszusetzen, welches Macht genug besitzt,
jede andere Macht von sich abzutreiben. Findet er sich in einem Wesen, welches im Reich
der Kräfte nicht den obersten Rang behauptet, so entsteht daraus ein unglücklicher
Widerspruch zwischen dem Trieb und dem Vermögen. (498)
Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich ein, seinen ganzen
Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten, denn der
Mensch ist das Wesen, welches will. Dies ist auf zweierlei Weisen möglich. Entweder
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realistisch, wenn der Mensch der Gewalt Gewalt entgegensetzt, wenn er als Natur die Natur
beherrscht; oder idealistisch, wenn er aus der Natur heraustritt und so, in Rücksicht auf sich,
den Begriff der Gewalt vernichtet. (499)
Zwei Genien sind es, die uns die Natur zu Begleitern durchs Leben gab. Der eine, gesellig
und hold, verkürzt uns durch sein munteres Spiel die mühevolle Reise, macht uns die Fesseln
der Notwendigkeit leicht und führt uns unter Freude und Scherz bis an die gefährlichen
Stellen, wo wir als reine Geister handeln und alles Körperliche ablegen müssen, bis zur
Erkenntnis der Wahrheit und zur Ausübung der Pflicht. Hier verläßt er uns, denn nur die
Sinnenwelt ist sein Gebiet, über diese hinaus kann ihn sein irdischer Flügel nicht tragen. Aber
jetzt tritt der andere hinzu, ernst und schweigend, und mit starkem Arm trägt er uns über die
schwindligste Tiefe...in dem ersten dieser Genien erkennet man das Gefühl des Schönen, in
dem zweiten das Gefühl des Erhabenen. Zwar ist schon das Schöne ein Ausdruck der
Freiheit, aber nicht derjenigen, welche uns über die Macht der Natur erhebt und von allem
körperlichen Einfluß entbindet, sondern derjenigen, welche wir innerhalb der Natur als
Menschen genießen. Wir fühlen uns frei bei der Schönheit, weil die sinnlichen Triebe mit
dem Gesetz der Vernunft harmonieren; wir fühlen uns frei beim Erhabenen, weil die
sinnlichen Triebe auf die Gesetzgebung der Vernunft keinen Einfluß haben, weil der Geist
hier handelt, als ob er unter keinen anderen als seinen eigenen Gesetzen stünde. (502)
Über die ästhetische Erziehung des Menschen
Die Natur fängt mit dem Menschen nicht besser an als mit ihren übrigen Werken: sie handelt
für ihn, wo er als freie Intelligenz noch nicht selbst handeln kann. Aber eben das macht ihn
zum Menschen, daß er bei dem nicht stillsteht, was die Natur aus ihm machte, sondern die
Fähigkeit besitzt, die Schritte, welche jene mit ihm antizipierte, durch Vernunft wider
rückwärts zu tun, das Werk der Not in ein Werk seiner freien Wahl umzuschaffen und die
physische Notwendigkeit zu einer moralischen zu erheben. Er kommt zu sich aus seinem
sinnlichen Schlummer, erkennt sich als Mensch, blickt um sich her und findet sich – in dem
Staate. Der Zwang der Bedürfnisse warf ihn hinein, ehe er in seiner Freiheit diesen Sand
wählen konnte; die Not richtete denselben nach bloßen Naturgesetzen ein, ehe er es nach
Vernunftgesetzten konnte. Aber mit diesem Notstaat, der uns nur aus seiner
Naturbestimmung hervorgegangen und auch nur auf diese berechnet war, konnte und kann er
als moralische Person nicht zufrieden sein. Er verläßt also, mit demselben Rechte, womit er
Mensch ist, die Herrschaft einer blinden Notwendigkeit...er holt, auf künstliche Weise, in
einer Volljährigkeit seine Kindheit nach, bildet sich einen Naturstand in der Idee, der ihm
zwar durch keine Erfahrung gegeben, aber durch seine Vernunftbestimmung notwendig
gesetzt ist, leiht sich in diesem idealischen Stand einen Endzweck, den er in seinem
wirklichen Naturstand nicht kannte, und eine Wahl, deren er damals nicht fähig war, und
verfährt nun nicht anders, als ob er von vorn anfinge und den Stand der Unabhängigkeit aus
heller Einsicht und freiem Entschluß mit dem Stand der Verträge vertauschte. Wie kunstreich
und fest auch die blinde Willkür ihr Werk gegründet haben, wie anmaßend sie es auch
behaupten und mit welchem Scheine von Ehrwürdigkeit es umgeben mag – er darf es, bei
dieser Operation, als völlig ungeschehen betrachten; denn das Werk blinder Kräften besitzt
keine Autorität, vor welcher die Freiheit sich zu beugen brauchte, und alles muß sich dem
höchsten Endzwecke fügen, den die Vernunft in seiner Persönlichkeit aufstellt. Auf diese Art
entsteht und rechtfertigt sich der Versuch eines mündig gewordenen Volks, seinen Naturstaat
in einen sittlichen umzuformen. (403-4)
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Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen
reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen
Abwechslungen übereinzustimmen die große Aufgabe seines Daseins ist. Dieser reine
Mensch, der sich mehr oder weniger deutlich in jedem Subjekt zu erkennen gibt, wird
repräsentiert durch den Staat, die objektive und gleichsam kanonische Form, in der sich die
Mannigfaltigkeit der Subjekte zu vereinigen trachtet. Nun lassen sich aber zwei verschiedene
Arten denken, wie der Mensch in der Zeit mit dem Menschen in der Idee zusammentreffen,
mithin ebenso viele, wie der Staat die Individuen sich behaupten kann: entweder dadurch, daß
der reine Mensch den empirischen unterdrückt, daß der Staat die Individuen aufhebt; oder
dadurch, daß das Individuum Staat wird, daß der Mensch in der Zeit zum Menschen in der
Idee sich veredelt...Einheit fordert zwar die Vernunft, die Natur aber Mannigfaltigkeit, und
von beiden Legislationen wird der Mensch in Anspruch genommen. Das Gesetz der ersteren
ist ihm durch ein unbestechliches Bewußtsein, das Gesetz der anderen durch ein
unvertilgbares Gefühl eingeprägt. Daher wird es jederzeit von einer noch mangelhaften
Bildung zeugen, wenn der sittliche Charakter nur mit Aufopferung des natürlichen sich
behaupten kann; und eine Staatsverfassung wird noch sehr unvollendet sein, die nur durch
Aufhebung de Mannigfaltigkeit Einheit zu bewirken imstande ist. Der Staat soll nicht bloß
den objektiven und generischen, er soll auch den subjektiven und spezifischen Charakter in
den Individuen ehren und, indem er das unsichtbare Reich der Sitten ausbreitet, das Reich der
Erscheinung nicht entvölkern. (406 - 407)
Der Mensch kann sich aber auf eine doppelte Weise entgegengesetzt sein; entweder als
Wilder, wenn seine Gefühle über seine Grundsätze herrschen; oder als Barbar, wenn seine
Grundsätze seine Gefühle zerstören. Der Wilde verachtet die Kunst und erkennt die Natur als
seinen unumschränkten Gebieter; der Barbar verspottet und entehrt die Natur, aber
verächtlicher als der Wilde fährt er häufig genug fort, der Sklave seines Sklaven zu sein. Der
gebildete Mensch macht die Natur zu seinem Freund und ehrt ihre Freiheit, indem er bloß ihre
Willkür zügelt.
Wenn also die Vernunft in die physische Gesellschaft ihre moralische Einheit bringt, so darf
sie die Mannigfaltigkeit der Natur nicht verletzten. Wenn die Natur in dem moralischen Bau
der Gesellschaft ihre Mannigfaltigkeit zu behaupten strebt, so darf der moralischen Einheit
dadurch kein Abbruch geschehen; gleich weit von Einförmigkeit und Verwirrung ruht die
siegende Form. Totalität des Charakters muß also bei dem Volke gefunden werden, welches
fähig und würdig sein soll, den Staat der Not mit dem Staat der Freiheit zu verstauchen. (408)
Damals bei den Griechen, bei jenem schönen Erwachen der Geisteskräfte, hatten die Sinne
und der Geist noch kein strenge geschiedenes Eigentum; denn noch hatte kein Zwiespalt sie
gereizt, miteinander feindselig abzuteilen und ihre Markung zu bestimmen. (411)
Wie kann aber die schöne Kultur beiden entgegengesetzten Gebrechen zugleich begegnen und
zwei widersprechende Eigenschaften in sich vereinigen? Kann sie in dem Wilden die Natur
in Fesseln legen und in dem Barbaren dieselbe in Freiheit setzen? Kann sie zugleich
anspannen und auflösen? (426)
Wenn die Abstraktion so hoch, als sie immer kann, hinaufsteigt, so gelangt sie zu zwei letzten
Begriffen, bei denen sie stille stehen und ihre Grenzen bekennen muß. Sie unterscheidet in
dem Menschen etwas, das bleibt und etwas das sich unaufhörlich verändert. Das Bleibende
nennt sie seine Person, das Wechselnde seinen Zustand. Person und Zustand - das Selbst und
seine Bestimmungen – die wir uns in dem notwendigen Wesen als eins und dasselbe denken,
sind ewig zwei in dem endlichen. Bei aller Beharrung der Person wechselt der Zustand, bei
aller Wechsel des Zustands beharrt die Person. Wir gehen von der Ruhe zur Tätigkeit, vom
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Affekt zur Gleichgültigkeit, von der Übereinstimmung zum Widerspruch, aber wir sind doch
immer, und was unmittelbar aus uns folgt, bleibt. In dem absoluten Subjekt allein beharren
mit der Persönlichkeit auch all ihre Bestimmungen, weil sie aus der Persönlichkeit fließen.
Alles, was Gottheit ist, ist sie deswegen, weil sie ist; sie ist folglich alles auf ewig, weil sie
ewig ist. Da in dem Menschen, als endlichem Wesen, Person und Zustand verschieden sind,
so kann sich weder der Zustand auf die Person, noch die Person auf den Zustand gründen.
Wäre das letztere, so müßte die Person sich verändern; wäre das erstere, so müßte der
Zustand beharren; also in jedem Fall entweder die Persönlichkeit oder die Endlichkeit
aufhören. Nicht weil wir denken, wollen empfinden, sind wir; nicht weil wir sind, denken,
wollen, empfinden wir. Wir sind, weil wir sind; wir empfinden, denken, wollen, weil außer
uns noch etwas anderes ist.
Die Person also muß ihr eigener Grund sein, denn das Bleibende kann nicht aus der
Veränderung fließen; uns so hätten wir denn fürs erste die Idee des absoluten, in sich selbst
gegründeten Seins, das ist, die Freiheit. Der Zustand muß einen Grund haben; er muß, da er
nicht durch die Person, also nicht absolut ist, erfolgen; und so hätten wir fürs zweite die
Bedingung alles abhängigen Seins oder Werdens, die Zeit.... Die Person, die sich in dem ewig
beharrenden Ich und nur in diesem offenbart, kann nicht werden , nicht anfangen in der Zeit,
weil vielmehr umgekehrt die Zeit in ihr anfangen, weil dem Wechsel ein Beharrliches zum
Grunde liegen muß. Etwas muß sich verändern, wenn Veränderung sein soll; dieses Etwas
kann also nicht selbst schon Veränderung sein. Indem wir sagen, die Blume blüht und
verwelkt, machen wir die Blume zum Bleibenden in dieser Verwandlung und leihen ihr
gleichsam eine Person, an der sich jene beiden Zustände offenbaren. Daß der Mensch erst
wird, ist kein Einwurf, denn der Mensch ist nicht bloß Person überhaupt, sondern Person, die
sich in einem bestimmten Zustand befindet. Aller Zustand aber, alles bestimmte Dasein
entsteht in der Zeit, und so muß also der Mensch, als Phänomen, einen Anfang nehmen,
obgleich die reine Intelligenz in ihm ewig ist. Ohne die Zeit, das heißt, ohne es zu werden,
würde er nie ein bestimmtes Wesen sein; sein Persönlichkeit würde zwar in der Anlage, aber
nicht in der Tat existieren. Nur durch die Folge seiner Vorstellungen wird das beharrliche Ich
sich selbst zur Erscheinung. Die Materie der Tätigkeit also oder die Realität, welche die
höchste Intelligenz aus sich selber schöpft, muß der Mensch erst empfangen, und zwar
empfängt er dieselbe als etwas außer ihm Befindliches im Raume und als etwas in ihm
Wechselndes in de Zeit auf dem Wege der Wahrnehmung. Diesen in ihm wechselnden Stoff
begleitet sein niemals wechselndes Ich – und in allem Wechsel beständig er selbst zu bleiben,
alle Wahrnehmungen zur Erfahrung, d.h. zur Einheit der Erkenntnis, und jede seiner
Erscheinungsarten in der Zeit zum Gesetz für alle Zeiten zu machen, ist die Vorschrift, die
durch seine vernünftige Natur ihm gegeben ist. Nur indem er sich verändert, existiert er; nur
indem er unveränderlich bleibt, existiert er. Der Mensch vorgestellt in seiner Vollendung,
wäre demnach die beharrliche Einheit, die in den Fluten der Veränderung ewig dieselbe bleibt.
(432)
Durch die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet; durch die
Schönheit wird der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt
wiedergegeben. Aus diesem scheint zu folgen, dass es zwischen Materie und Form, zwischen
Leiden und Tätigkeit einen mittleren Zustand geben müsse, und dass uns die Schönheit in
diesen mittleren Zustande versetze. Diesen Begriff bildet sich auch wirklich der größte Teil
der Menschen von der Schönheit, sobald er angefangen hat, über ihre Wirkungen zu
reflektieren, und alle Erfahrungen weisen darauf hin. Auf der anderen Seite aber ist nichts
ungereimter und widersprechender als ein solcher Begriff, da der Abstand zwischen Materie
und Form, zwischen Leiden und Tätigkeit, zwischen Empfinden und Denken unendlich ist
und schlechterdings durch nichts kann vermittelt werden. Wie heben wir nun diesen
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Widerspruch? Die Schönheit verknüpft die zwei entgegengesetzten Zustände des Empfindens
und des Denkens, und doch gibt es schlechterdings kein Mittleres zwischen beiden. Jenes ist
durch die Erfahrung, dieses ist unmittelbar durch Vernunft gewiß. (453)
Es lassen sich also drei verschieden Momente oder Stufen der Entwicklung unterscheiden, die
sowohl der einzelne Mensch als die ganze Gattung notwendig und in einer bestimmten
Ordnung durchlaufen müssen, wenn sie den ganzen Kreis ihrer Bestimmung erfüllen
sollen...Der Mensch in seinem physischen Zustand erleidet bloß die Macht der Natur; er
entledigt sich dieser Macht in dem ästhetischen Zustand, und er beherrscht sie in dem
moralischen.
Was ist der Mensch, ehe die Schönheit die freie Lust ihm entlockt du die ruhige Form das
wilde Leben besänftigt? Ewig einförmig in seinen Zwecken, ewig wechselnd in seinen
Urteilen, selbstsüchtig, ohne er selbst zu sein, ungebunden, ohne frei zu sein, Sklave, ohne
einer Regel zu dienen. In dieser Epoche ist ihm die Welt bloß Schicksal, noch nicht
Gegenstand; alles hat nur Existenz für ihn, insofern es ihm Existenz verschafft; was ihm
weder gibt noch nimmt, ist ihm gar nicht vorhanden. Einzeln und abgeschnitten, wie er sich
selbst in der Reihe der Wesen findet, steht jede Erscheinung vor ihm da. Alles, was ist, ist
ihm durch das Machtwort des Augenblickes; jede Veränderung ist ihm eine ganz frischen
Schöpfung, weil mit dem Notwendigen in ihm die Notwendigkeit außer ihm fehlt, welch die
wechselnden Gestalten in ein Weltall zusammenbindet und, indem das Individuum flieht, das
Gesetz auf dem Schauplatz festhält. Umsonst läßt die Natur ihre reiche Mannigfaltigkeit an
seinen Sinnen vorübergehen; er sieht in ihrer herrlichen Fülle nichts als seine Beute, in ihrer
Macht und Größe nichts als seinen Feind. Entweder er stürzt auf die Gegenstände und will sie
in sich reißen, in der Begierde; oder die Gegenstände dringen zerstörend auf ihn ein, und er
stößt sie von sich, in der Verabscheuung. In beiden Fällen ist sein Verhältnis zur Sinnenwelt
unmittelbare Berührung, und ewig von ihrem Andrang geängstigt, rastlos von dem
gebieterischen Bedürfnis gequält, findet er nirgends Ruhe als in der Ermattung und nirgends
Grenzen als in der erschöpften Begier.
Mit seiner Menschenwürde unbekannt, ist er weit entfernt, sie in andern zu ehren, und der
eigenen wilden Gier sich bewußt, fürchtet er sie in jedem Geschöpf, das ihm ähnlich sieht.
Nie erblickt er andre in sich, nur sich in anderen, und die Gesellschaft, anstatt ihn zur Gattung
auszudehnen, schließt ihn nur enger und enger in sein Individuum ein. In dieser dumpfen
Beschränkung irrt er durch das nachtvolle Leben, bis eine günstige Natur die Last es Stoffes
von seinen verfinsterten Sinnen wälzt, die Reflexion ihn selbst von den Dingen scheidet und
im Widerscheine des Bewußtseins sich endlich die Gegenstände zeigen.
Dieser Zustand roher Natur läßt sich freilich, so wie er hier geschildert wird, bei keinem Volk
und Zeitalter nachweisen; er ist bloß Idee, aber eine Idee, mit der die Erfahrung in einzelnen
Zügen aufs genaueste zusammenstimmt. Der Mensch, kann man sagen, war nicht ganz in
diesem tierischen Zustand, aber er ist ihm auch nie ganz entflohen. Auch in den rohesten
Subjekten findet man unverkennbare Spüren von Vernunftfreiheit, so wie es in den
gebildetsten nicht an Momenten fehlt, die an jenen düsteren Naturzustand erinnern. Es ist
dem Menschen einmal eigen, das Höchste und das Niedrigste in seiner Natur zu vereinigen,
und wenn seine Würde auf einer strengen Unterscheidung des einen von dem anderen beruht,
so beruht auf einer geschickten Aufhebung dieses Unterschieds seine Glückseligkeit. Die
Kultur, welche seine Würde mit seiner Glückseligkeit in Übereinstimmung bringen soll, wird
also für die höchste Reinheit jener beiden Prinzipien in ihrer innigsten Vermischung zu sorgen
haben.
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Solange der Mensch, in seinen ersten physischen Zustande, die Sinnenwelt bloß leidend in
sich aufnimmt, bloß empfindet, ist er auch noch völlig eins mit derselben, und eben weil er
selbst bloß Welt ist, so ist für ihn noch keine Welt. Erst wenn er in seinem ästhetischen Stand
sie außer sich stellt oder betrachtet, sondert sich seine Persönlichkeit von ihr ab, und es
erscheint ihm eine Welt, weil er aufgehört hat, mit derselben eins auszumachen.
Die Betrachtung (Reflexion) ist das erste liberale Verhältnis des Menschen zu dem Weltall,
das ihn umgibt. Wenn die Begierde ihren Gegenstand unmittelbar ergreift, so rückt die
Betrachtung den ihrigen in die Ferne und macht ihn eben dadurch zu ihrem wahren und
unverlierbaren Eigentum, daß sie ihn vor der Leidenschaft flüchtet. Die Notwendigkeit der
Natur, die ihn im Zustand der bloßen Empfindung mit ungeteilter Gewalt beherrschte, läßt bei
der Reflexion von ihm ab, in den Sinnen erfolgt ein augenblicklicher Friede, die Zeit selbst,
das ewig Wandelnde, steht still, indem des Bewußtseins zerstreute Strahlen sich sammeln,
und ein Nachbild des Unendlichen, die Form, reflektiert sich auf dem vergänglichen Grunde.
Sobald es stille wird in ihm, legt sich auch der Sturm in dem Weltall, und die streitenden
Kräfte der Natur finden Ruhe zwischen bleibenden Grenzen. Daher kein Wunder, wenn die
uralten Dichtungen von dieser großen Begebenheit im Innern des Menschen als von einer
Revolution in der Außenwelt reden und den Gedanken, der über die Zeitgesetze siegt, unter
dem Bilde des Zeus versinnlichen, der das Reich des Saturnus endigt. (479)
Existiert aber auch ein solcher Staat des schönen Scheins, und wo ist er zu finden? Dem
Bedürfnis nach existiert er in jeder feingestimmten Seele; der Tat nach möchte man ihn wohl
nur, wie die reine Kirche und die reine Republik, in einigen wenigen auserlesenen Zirkeln
finden, wo nicht die geistlose Nachahmung fremder Sitten, sonder eigene schöne Natur das
Betragen lenkt, wo der Mensch durch die verwickeltsten Verhältnisse mit kühner Einfalt und
ruhiger Unschuld geht und weder nötig hat, fremde Freiheit zu kränken, um die seinige zu
behaupten, noch seine Würde wegzuwerfen, um Anmut zu zeigen. (496-497)
Über das Pathetische
Darstellung des Leidens – als bloßen Leidens – ist niemals Zweck der Kunst, aber als Mittel
zu ihrem Zweck ist sie derselben äußerst wichtig. Der letzte Zweck der Kunst ist die
Darstellung des Übersinnlichen, und die tragische Kunst, insbesondere bewerkstelligt dieses
dadurch, daß sie uns die moralische Independenz von Naturgesetzen im Zustand des Affekts
versinnlicht. Nur der Widerstand, den es gegen die Gewalt der Gefühle äußert, macht das
freie Prinzip in uns kenntlich; der Widerstand aber kann nur nach der Stärke des Angriffs
geschätzt werden. Soll sich also die Intelligenz im Menschen als eine von der Natur
unabhängige Kraft offenbaren, so muß die Natur ihre ganze Macht erst vor unseren Augen
bewiesen haben. Das Sinnenwesen muß tief und heftig leiden; Pathos muß da sein, damit das
Vernunftwesen seine Unabhängigkeit kundtun und sich handelnd darstellen könne. (319)
Vom Erhabenen
Erhaben nennen wir ein Objekt, bei dessen Vorstellung unsere sinnliche Natur ihre Schranken,
unsere vernünftige Natur aber ihre Überlegenheit, ihre Freiheit von Schranken fühlt; gegen
das wir also physisch den kürzeren ziehen, über welches wir uns aber moralisch, das ist, durch
Ideen erheben. Nur als Sinnenwesen sind wir abhängig, als Vernunftwesen sind wir frei. Der
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erhabene Gegenstand gibt uns erstlich als Naturwesen unsere Abhängigkeit zu empfinden,
indem er uns zweitens mit der Unabhängigkeit bekannt macht, die wir als Vernunftwesen über
die Natur, sowohl in uns als außer uns, behaupten. (295)
Briefe an Gottfried Körner
Beurteilung von Begriffen nach der Form der Erkenntnis ist logisch; Beurteilung von
Anschauungen nach eben dieser Form ist teleologisch. Eine Beurteilung freier Wirkungen
(moralischer Handlungen) nach der Form des reinen Willens ist moralisch; eine Beurteilung
nichtfreier Wirkungen nach der Form des reinen Willens ist ästhetisch. Übereinstimmung
eines Begriffes mit der Form der Erkenntnis ist Vernünftmäßigkeit (Wahrheit,
Zweckmäßigkeit, Vollkommenheit sind bloß Beziehungen dieser letztern), Analogie einer
Anschauung mit der Form der Erkenntnis ist Vernunftähnlichkeit (Teleophanie, Logophanie
möchte ich sie nennen), Übereinstimmung einer Handlung mit der Form des reinen Willens ist
Sittlichkeit. Analogie einer Erscheinung mit der Form des reinen Willens oder der Freiheit ist
Schönheit (in weitester Bedeutung).
Schönheit also ist nichts anders als Freiheit in der Erscheinung. (207)
»Ein Mensch ist unter Räuber gefallen, die ihn nackend ausgezogen und bei einer strengen
Kälte auf die Straße geworfen haben.
Ein Reisender kommt an ihm vorbei, dem klagt er seinen Zustand und fleht ihn um Hülfe.
'Ich leide mit dir', ruft dieser gerührt aus, 'und gerne will ich dir geben, was ich habe. Nur
fordre keine andern Dienste, denn dein Anblick greift mich an. Dort kommen Menschen, gib
ihnen diese Geldbörse, und sie werden dir Hülfe schaffen.' - 'Gut gemeint', sagte der
Verwundete, 'aber man muß auch das Leiden sehen können, wenn die Menschenpflicht es
fordert. Der Griff in deinen Beutel ist nicht halb soviel wert als eine kleine Gewalt über deine
weichlichen Sinne.'«
Was war diese Handlung? Weder nützlich, noch moralisch, noch großmütig, noch schön.
Sie war bloß passioniert, gutherzig aus Affekt.
»Ein zweiter Reisende erscheint, der Verwundete erneuert seine Bitte. Diesem zweiten ist
sein Geld lieb, und doch möchte er gern seine Menschenpflicht erfüllen. 'Ich versäume den
Gewinn eines Guldens', sagte er, 'wenn ich die Zeit mit dir verliere. Willst du mir soviel, als
ich versäume, von deinem Gelde geben, so lade ich dich auf meine Schultern und bringe dich
in einem Kloster unter, das nur eine Stunde von hier entfernt liegt.' - 'Eine kluge Auskunft',
versetzt der andre. 'Aber man muß bekennen, daß deine Dienstfertigkeit dir nicht hoch zu
stehen kommt. Ich sehe dort einen Reuter kommen, der mir die Hülfe umsonst leisten wird,
die dir nur um einen Gulden feil ist.'«
Was war nun diese Handlung: Weder gutherzig, noch pflichtmäßig, noch großmütig, noch
schön. Sie war bloß nützlich.
»Der dritte Reisende steht bei dem Verwundeten still und läßt sich die Erzählung seines
Unglücks wiederholen. Nachdenkend und mit sich selbst kämpfend steht er da, nachdem der
andre ausgeredet hat. 'Es wird mir schwer werden', sagt er endlich, 'mich von dem Mantel zu
trennen, der meinem kranken Körper der einzige Schutz ist, und dir mein Pferd zu überlassen,
da meine Kräfte erschöpft sind. Aber die Pflicht gebietet mir, dir zu dienen. Besteige also
mein Pferd und hülle dich in meinen Mantel, so will ich dich hinführen, wo dir geholfen
werden kann.' - 'Dank dir, braver Mann, für deine redliche Meinung', erwidert jener, 'aber du
sollst, da du selbst bedürftig bist, um meinetwillen kein Ungemach leiden. Dort sehe ich zwei
starke Männer kommen, die mir den Dienst werden leisten können, der dir sauer wird.'«
Diese Handlung war rein (aber auch nicht mehr als) moralisch, weil sie gegen das Interesse
der Sinne, aus Achtung fürs Gesetz unternommen wurde.
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»Jetzt nähern sich die zwei Männer dem Verwundeten und fangen an, ihn um sein Unglück
zu befragen. Kaum eröffnet er den Mund, so rufen beide mit Erstaunen: 'Er ists! Es ist der
nämliche, den wir suchen.' Jener erkennt sie und erschrickt. Es entdeckt sich, daß beide ihren
abgesagten Feind und den Urheber ihres Unglücks in ihm erkennen und dem sie nachgereist
sind, um eine blutige Rache an ihm zu nehmen. 'Befriedigt jetzt euren Haß und eure Rache',
fängt jener an, 'der Tod und nicht Hülfe ist es, was ich von euch erwarten kann.' - 'Nein',
erwidert einer von ihnen, 'damit du siehst, wer wir sind und wer du bist, so nimm diese
Kleider und bedecke dich. Wir wollen dich zwischen uns in die Mitte nehmen und dich
hinbringen, wo dir geholfen werden kann.' - 'Großmütiger Feind', ruft der Verwundete voll
Rührung, 'du beschämst mich, du entwaffnest meinen Haß. Komm jetzt, umarme mich und
mache deine Wohltat vollkommen durch eine herzliche Vergebung.' - 'Mäßige dich, Freund',
erwidert der andere frostig. 'Nicht weil ich dir verzeihe, will ich dir helfen, sondern weil du
elend bist.' - 'So nimm auch deine Kleidung zurück', ruft der Unglückliche, indem er sie von
sich wirft. 'Werde aus mir, was da will. Eher will ich elendiglich umkommen, als einem
stolzen Feind meine Rettung verdanken.'
Indem er aufsteht und den Versuch macht, sich wegzubegeben, nähert sich ein fünfter
Wanderer, der eine schwere Last auf dem Rücken trägt. 'Ich bin so oft getäuscht worden',
denkt der Verwundete, 'und der sieht mir nicht aus wie einer, der mir helfen wollte. Ich will
ihn vorübergehen lassen.'- Sobald der Wandrer ihn ansichtig wird, legt er seine Bürde nieder.
'Ich sehe', fängt er aus eignem Antrieb an, 'daß du verwundet bist und deine Kräfte dich
verlassen. Das nächste Dorf ist noch ferne, und du wirst dich verbluten, ehe du davor anlangst.
Steige auf meinen Rücken, so will ich mich frisch aufmachen und dich hinbringen.' - 'Aber
was wird aus deinem Bündel werden, das du hier auf freier Landstraße zurücklassen mußt?' 'Das weiß ich nicht, und das bekümmert mich nicht', sagt der Lastträger. 'Ich weiß aber, daß
du Hülfe brauchst und daß ich schuldig bin, sie dir zu geben.'«
Die Schönheit der fünften Handlung muß in demjenigen Zuge liegen, den sie mit keiner der
vorhergehenden gemein hat.
Nun haben: 1. Alle fünf helfen wollen. 2. Die meisten haben ein zweckmäßiges Mittel dazu
erwählt. 3. Mehrere wollten es sich etwas kosten lassen. 4. Einige haben eine große
Selbstüberwindung dabei bewiesen. Einer darunter hat aus dem reinsten moralischen Antrieb
gehandelt. Aber nur der fünfte hat unaufgefordert und ohne mit sich zu Rat zu gehen geholfen,
obgleich es auf seine Kosten ging. Nur der fünfte hat sich selbst ganz dabei vergessen und
»seine Pflicht mit einer Leichtigkeit erfüllt, als wenn bloß der Instinkt aus ihm gehandelt
hätte«. - Also wäre eine moralische Handlung alsdann erst eine schöne Handlung, wenn sie
aussieht wie eine sich von selbst ergebende Wirkung der Natur. Mit einem Worte: eine freie
Handlung ist eine schöne Handlung, wenn die Autonomie des Gemüts und Autonomie in der
Erscheinung koinzidieren.
Aus diesem Grunde ist das Maximum der Charaktervollkommenheit eines Menschen
moralische Schönheit, denn sie tritt nur alsdann ein, wenn ihm die Pflicht zur Natur geworden
ist.
Offenbar hat die Gewalt, welche die praktische Vernunft bei moralischen
Willensbestimmungen gegen unsere Triebe ausübt, etwas Beleidigendes, etwas Peinliches in
der Erscheinung. Wir wollen nun einmal nirgends Zwang sehen, auch nicht, wenn die
Vernunft selbst ihn ausübt; auch die Freiheit der Natur wollen wir respektiert wissen, weil wir
»jedes Wesen in der ästhetischen Beurteilung als einen Selbstzweck« betrachten und es uns,
denen Freiheit das Höchste ist, ekelt (empört), daß etwas dem anderen aufgeopfert werden und
zum Mittel dienen soll. Daher kann eine moralische Handlung niemals schön sein, wenn wir
der Operation zusehen, wodurch sie der Sinnlichkeit abgeängstigt wird. Unsre sinnliche Natur
muß also im Moralischen frei erscheinen, obgleich sie es nicht wirklich ist, und es muß das
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Ansehen haben, als wenn die Natur bloß den Auftrag unsrer Triebe vollführte, indem sie sich,
den Trieben gerade entgegen, unter die Herrschaft des reinen Willens beugt. (211-213)
Freiheit in der Erscheinung ist eins mit der Schönheit
Ich habe neulich schon berührt, daß keinem Dinge in der Sinnenwelt Freiheit wirklich
zukomme, sondern bloß scheinbar sei. Aber positiv frei kann es auch nicht einmal scheinen,
weil dies bloß eine Idee der Vernunft ist, der keine Anschauung adäquat sein kann. Wenn aber
die Dinge, insofern sie in der Erscheinung vorkommen, Freiheit weder besitzen noch zeigen,
wie kann man einen objektiven Grund dieser Vorstellung in den Erscheinungen suchen?
Dieser objektive Grund müßte eine solche Beschaffenheit derselben sein, deren Vorstellung
uns schlechterdings nötigt, die Idee der Freiheit in uns hervorzubringen und auf das Objekt zu
beziehen. Dies ist, was jetzt bewiesen werden muß.
Frei sein und durch sich selbst bestimmt sein, von innen heraus bestimmt sein, ist eins. Jede
Bestimmung geschieht entweder von außen oder nicht von außen (von innen), was also nicht
von außen bestimmt erscheint und doch als bestimmt erscheint, muß als von innen bestimmt
vorgestellt werden. »Sobald also das Bestimmtsein gedacht wird, so ist das
Nichtvonaußenbestimmtsein indirecte zugleich die Vorstellung des Voninnenbestimmtseins
oder der Freiheit.«
Wie wird nun dieses Nichtvonaußenbestimmtsein selbst wieder vorgestellt? Hierauf beruht
alles; denn wird dieses an einem Gegenstand nicht notwendig vorgestellt, so ist auch gar kein
Grund da, das Voninnenbestimmtsein oder die Freiheit vorzustellen. Notwendig aber muß die
Vorstellung des letztern sein, weil unser Urteil vom Schönen Notwendigkeit enthält und
jedermanns Beistimmung fodert. Es darf also nicht dem Zufall überlassen sein, ob wir bei der
Vorstellung eines Objekts auf seine Freiheit Rücksicht nehmen wollen, sondern die
Vorstellung desselben muß auch die Vorstellung des Nichtvonaußenbestimmtseins
schlechterdings und notwendig mit sich führen.
Dazu wird nun erfordert, daß uns der Gegenstand selbst durch seine objektive
Beschaffenheit einladet, oder vielmehr nötigt, auf die Eigenschaft des
Nichtvonaußenbestimmtseins an ihm zu merken; weil eine bloße Negation nur dann bemerkt
werden kann, wenn ein Bedürfnis nach ihrem positiven Gegenteile vorausgesetzt wird.
Ein Bedürfnis nach der Vorstellung des Voninnenbestimmtseins (Bestimmungsgrundes)
kann nur durch Vorstellung des Bestimmtseins entstehen. Zwar ist alles, was uns vorgestellt
werden kann, etwas Bestimmtes, aber nicht alles wird als ein solches vorgestellt, und was
nicht vorgestellt wird, ist für uns so gut als gar nicht vorhanden. Etwas muß an dem
Gegenstande sein, was ihn aus der unendlichen Reihe des Nichtssagenden und Leeren
heraushebt und unsern Erkenntnistrieb reizt, denn das Nichtssagende ist dem Nichts beinahe
gleich. Es muß sich als ein Bestimmtes darstellen, denn er soll uns auf das Bestimmende
führen.
Nun ist aber der Verstand das Vermögen, welches den Grund zu der Folge sucht, folglich
muß der Verstand ins Spiel gesetzt werden. Der Verstand muß veranlaßt werden, über die
Form des Objekts zu reflektieren: über die Form, denn der Verstand hat es nur mit der Form
zu tun.
Das Objekt muß also eine solche Form besitzen und zeigen, die eine Regel zuläßt: denn der
Verstand kann sein Geschäft nur nach Regeln verwalten. Es ist aber nicht nötig, daß der
Verstand diese Regel erkennt (denn Erkenntnis der Regel würde allen Schein der Freiheit
zerstören, wie bei jeder strengen Regelmäßigkeit wirklich der Fall ist), es ist genug, daß der
Verstand auf eine Regel - unbestimmt welche - geleitet wird. Man darf nur ein einzelnes
Baumblatt betrachten, so dringt sich einem sogleich die Unmöglichkeit auf, daß sich das
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Mannigfaltige an demselben von ohngefähr und ohne alle Regel so habe ordnen können, wenn
man auch gleich von der teleologischen Beurteilung abstrahiert. Die unmittelbare Reflexion
über den Anblick desselben lehrt es, ohne daß man nötig hat, diese Regel einzusehen und sich
einen Begriff von der Struktur desselben zu bilden.
Eine Form, welche auf eine Regel deutet (sich nach einer Regel behandeln läßt), heißt
kunstmäßig oder technisch. Nur die technische Form eines Objektes veranlaßt den Verstand,
den Grund zu der Folge zu suchen und das Bestimmende zu dem Bestimmten; und insofern
also eine solche Form ein Bedürfnis erweckt, nach einem Grund der Bestimmung zu fragen,
so führt hier die Negation des Vonaußenbestimmtseins ganz notwendig auf die Vorstellung
des Voninnenbestimmtseins oder der Freiheit.
Freiheit kann also nur mit Hülfe der Technik sinnlich dargestellt werden, so wie Freiheit
des Willens nur mit Helfe der Kausalität und materiellen Willensbestimmungen gegenüber
gedacht werden kann. Mit anderen Worten: der negative Begriff der Freiheit ist nur durch den
positiven Begriff seines Gegenteils denkbar, und so wie die Vorstellung der Naturkausalität
nötig ist, um uns auf die Vorstellung der Willensfreiheit zu leiten, so ist eine Vorstellung von
Technik nötig, um uns im Reich der Erscheinungen auf Freiheit zu leiten.
Hieraus ergibt sich nun eine zweite Grundbedingung des Schönen, ohne welche die erste
bloß ein leerer Begriff sein würde. Freiheit in der Erscheinung ist zwar der Grund der
Schönheit, aber Technik ist die notwendige Bedingung unsrer Vorstellung von der Freiheit.
Man könnte dieses auch so ausdrücken:
Der Grund der Schönheit ist überall Freiheit in der Erscheinung. Der Grund unsrer
Vorstellung von Schönheit ist Technik in der Freiheit.
Vereinigt man beide Grundbedingungen der Schönheit und der Vorstellung der Schönheit,
so ergibt sich daraus folgende Erklärung:
Schönheit ist Natur in der Kunstmäßigkeit.
Ehe ich aber von dieser Erklärung einen sichern und philosophischen Gebrauch machen
kann, muß ich erst den Begriff Natur bestimmen und vor jeder Mißdeutung sicherstellen. Der
Ausdruck Natur ist mir darum lieber als Freiheit, weil er zugleich das Feld des Sinnlichen
bezeichnet, worauf das Schöne sich einschränkt, und neben dem Begriffe der Freiheit auch
sogleich ihre Sphäre in der Sinnenwelt andeutet. Der Technik gegenübergestellt, ist Natur,
was durch sich selbst ist, Kunst ist, was durch eine Regel ist. Natur in der Kunstmäßigkeit,
was sich selber die Regel gibt - was durch seine eigene Regel ist. (Freiheit in der Regel, Regel
in der Freiheit.)
Wenn ich sage: die Natur des Dinges: das Ding folgt seiner Natur, es bestimmt sich durch
seine Natur: so setze ich darin die Natur allem demjenigen entgegen, was von dem Objekt
verschieden ist, was bloß als zufällig an demselben betrachtet wird und hinweggedacht
werden kann, ohne zugleich sein Wesen aufzuheben. Es ist gleichsam die Person des Dings,
wodurch es von allen andern Dingen, die nicht seiner Art sind, unterschieden wird. Daher
werden diejenigen Eigenschaften, welche ein Objekt mit allen anderen gemein hat, nicht
eigentlich zu seiner Natur gerechnet, ob es gleich diese Eigenschaften nicht ablegen kann,
ohne daß es aufhörte, zu existieren. Bloß dasjenige wird durch den Ausdruck Natur
bezeichnet, wodurch es das bestimmte Ding wird, was es ist. Alle Körper z.B. sind schwer,
aber zur Natur eines körperlichen Dings gehören nur diejenigen Wirkungen der Schwere,
welche aus seiner speziellen Beschaffenheit resultieren. Sobald die Schwerkraft an einem
Dinge, für sich selbst und unabhängig von seiner speziellen Beschaffenheit, bloß als
allgemeine Naturkraft wirkt, so wird sie als eine fremde Gewalt angesehen, und ihre
Wirkungen verhalten sich als Heteronomie gegen die Natur des Dinges. Ein Beispiel mag dies
ins Licht setzen. Eine Vase ist, als Körper betrachtet, der Schwerkraft unterworfen, aber die
Wirkungen der Schwerkraft müssen, wenn sie die Natur einer Vase nicht verleugnen soll,
durch die Form der Vase modifiziert, d.i. besonders bestimmt und durch diese spezielle Form
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notwendig gemacht worden sein. Jede Wirkung der Schwerkraft an einer Vase aber ist
zufällig, welche unbeschadet ihrer Form als Vase kann hinweggenommen werden. Alsdann
wirkt die Schwerkraft gleichsam außerhalb der Ökonomie, außerhalb der Natur des Dinges
und erscheint sogleich als eine fremde Gewalt. Dies geschieht, wenn die Vase in einen weiten
und breiten Bauch sich endigt, weil es da aussieht, als ob die Schwere der Länge genommen
hätte, was sie der Breite gegeben, kurz als ob die Schwerkraft über die Form, nicht die Form
über die Schwerkraft geherrscht hätte.
Ebenso ist es mit Bewegungen. Eine Bewegung gehört zur Natur des Dinges, wenn sie aus
der speziellen Beschaffenheit oder aus der Form des Dinges notwendig fließt. Eine Bewegung
aber, welche dem Dinge unabhängig von seiner speziellen Form durch das allgemeine Gesetz
der Schwere vorgeschrieben wird, liegt außerhalb der Natur desselben und zeigt Heteronomie.
Man stelle ein schweres Wagenpferd neben einen leichten spanischen Zelter. Die Last, welche
jenes zu ziehen gewöhnt worden ist, hat seinen Bewegungen die Natürlichkeit genommen, daß
es, auch ohne einen Wagen hinter sich her zu schleppen, ebenso mühsam und schwerfällig
einhertrabt, als wenn es einen zu ziehen hätte. Seine Bewegungen entspringen nicht mehr aus
seiner speziellen Natur, sondern verraten die geschleppte Last des Wagens. Der leichte Zelter
hingegen ist nie gewöhnt worden, eine größere Kraft anzuwenden, als er auch in seiner
größten Freiheit zu äußern sich angetrieben fühlt. Jede seiner Bewegungen ist also eine
Wirkung seiner sich selbst überlassenen Natur. Daher bewegt er sich so leicht, als wenn er gar
keine Last wäre, über dieselbe Fläche hinweg, die das Kutschpferd mit bleischweren Füßen
tritt. »Man wird bei ihm gar nicht daran erinnert, daß er ein Körper ist, so sehr hat die
spezielle Pferdeform die allgemeine Körpernatur, die der Schwere gehorchen muß,
überwunden.« Hingegen macht die Schwerfälligkeit der Bewegung das Kutschpferd
augenblicklich in unsrer Vorstellung zur Masse, und die eigentümliche Natur des Rosses wird
in demselben von der allgemeinen Körpernatur unterdrückt.
Wenn man einen flüchtigen Blick durch das Tierreich wirft, so findet man, daß die
Schönheit der Tiere in demselben Verhältnis abnimmt, als sie sich der Masse nähern und bloß
der Schwerkraft zu dienen scheinen. Die Natur eines Tiers (in der ästhetischen Bedeutung
dieses Worts) äußert sich entweder in seinen Bewegungen oder in seinen Formen, und beide
werden eingeschränkt durch die Masse. Hat die Masse Einfluß gehabt auf die Form, so nennen
wir diese plump; hat die Masse Einfluß gehabt auf die Bewegung, so heißt diese unbehülflich.
Im Bau des Elefanten, des Bären, des Stiers usf. ist es die Masse, welche an der Form sowohl
als an der Bewegung dieser Tiere einen sichtbaren Anteil hat. Die Masse aber muß jederzeit
der Schwerkraft gehorchen, die sich gegen die eigen Natur des organischen Körpers als eine
fremde Potenz verhält.
Dagegen nehmen wir überall Schönheit wahr, wo die Masse von der Form und (im Tierund Pflanzenreich) von den lebendigen Kräften (in die ich die Autonomie des Organischen
setze) völlig beherrscht wird.
Die Masse eines Pferdes ist bekanntlich von ungleich größerem Gewicht als die Masse
einer Ente oder eines Krebses; nichtsdestoweniger ist die Ente schwer und das Pferd leicht;
bloß weil sich die lebendigen Kräfte zur Masse bei beiden ganz verschieden verhalten. Dort
ist es der Stoff, der die Kraft beherrscht; hier ist die Kraft Herr über den Stoff.
Unter den Tiergattungen ist das Vögelgeschlecht der beste Beleg meines Satzes. Ein Vogel
im Flug ist die glücklichste Darstellung des durch die Form bezwungenen Stoffs, der durch
die Kraft überwundenen Schwere. Es ist nicht unwichtig zu bemerken, daß die Fähigkeit, über
die Schwere zu siegen, oft zum Symbol der Freiheit gebraucht wird. Wir drücken die Freiheit
der Phantasie aus, indem wir ihm Flügel geben; wir lassen Psyche mit Schmetterlingsflügeln
sich über das Irdische erheben, wenn wir ihre Freiheit von den Fesseln des Stoffes bezeichnen
wollen. Offenbar ist die Schwerkraft eine Fessel für jedes Organische, und ein Sieg über
dieselbe gibt daher kein unschickliches Sinnbild der Freiheit ab. Nun gibt es aber keine
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treffendere Darstellung der besiegten Schwere als ein geflügeltes Tier, das sich aus innerem
Leben (Autonomie des Organischen) der Schwerkraft directe entgegen bestimmt. Die
Schwerkraft verhält sich ohngefähr ebenso gegen die lebendige Kraft des Vogels, wie sich bei reinen Willensbestimmungen - die Neigung zu der gesetzgebenden Vernunft verhält.
Ich widerstehe der Versuchung, Dir an der menschlichen Schönheit die Wahrheit meiner
Behauptungen noch anschaulicher zu machen; dieser Materie gebührt ein eigener Brief. Du
ersiehst nun aus dem bisher Gesagten, was ich zum Begriff der Natur (in ästhetischer
Bedeutung) rechne und davon ausgeschlossen wissen will.
Natur an einem technischen Dinge, inwiefern wir sie dem nichttechnischen entgegensetzen,
ist seine technische Form selbst, gegen welche alles andre, was nicht zu dieser technischen
Ökonomie gehört, als etwas Auswärtiges, und wenn es darauf Einfluß gehabt hat, als
Heteronomie und als Gewalt betrachtet wird. Aber es ist damit noch nicht genug, daß ein Ding
nur durch seine Technik bestimmt erscheine - rein technisch sei; denn das ist auch jede streng
mathematische Figur, ohne deswegen schön zu sein. Die Technik selbst muß wieder durch die
Natur des Dinges bestimmt erscheinen, welches man den freiwilligen Konsens des Dinges zu
seiner Technik nennen könnte. Hier wird also die Natur des Dings von seiner Technik wieder
unterschieden, da sie doch kurz vorher für identisch mit derselben erklärt wurde. Aber der
Widerspruch ist nur scheinbar. Gegen äußre Bestimmungen verhält sich die technische Form
des Dinges als Natur; aber gegen das innere Wesen des Dings kann sich die technische Form
wieder als etwas Äußres und Fremdes verhalten; z.B. es ist die Natur eines Zirkels, daß er eine
Linie sei, die in jedem Punkte ihrer Richtung von einem gegebenen Punkte gleich weit
absteht. Schneidet nun ein Gärtner einen Baum zu einer Zirkelfigur aus, so fodert die Natur
des Zirkels, daß er vollkommen rund geschnitten sei. Sobald also eine Zirkelfigur an dem
Baume angekündiget wird, so muß sie erfüllt werden, und es beleidigt unser Auge, wenn
dagegen gesündigt wird. Aber was die Natur des Zirkels fodert, das widerstreitet der Natur des
Baums, und weil wir nicht umhin können, dem Baume seine eigene Natur, seine
Persönlichkeit zuzugestehen, so verdrüßt uns diese Gewalttätigkeit und es gefällt uns, wenn er
die ihm aufgedrungene Technik aus innerer Freiheit vernichtet. Die Technik ist also überall
etwas Fremdes, wo sie nicht aus dem Dinge selbst entsteht, nicht mit der ganzen Existenz
desselben eins ist, nicht von innen heraus, sondern von außen hineinkommt, nicht dem Dinge
notwendig und angeboren, sondern ihm gegeben und also zufällig ist.
Noch ein Beispiel wird uns vollkommen verständigen. Wenn der Mechanikus ein
musikalisches Instrument verfertigt, so kann es noch so rein technisch sein, ohne auf
Schönheit Anspruch zu machen. Es ist rein technisch, wenn alles an demselben Form ist,
wenn überall nur der Begriff und nirgends der Stoff oder der Mangel von seiten des Künstlers
seine Form bestimmt. Auch kann man von diesem Instrumente sagen, es habe Autonomie;
sobald man nämlich das auton in den Gedanken setzt, der hier völlig und rein gesetzgebend
war und den Stoff übermeisterte. Setzt man aber das auton des Instruments in dasjenige, was
an ihm Natur ist und wodurch es existiert, so verändert sich das Urteil. Seine technische Form
wird als etwas von ihm Verschiedenes, von seiner Existenz Unabhängiges und Zufälliges
erkannt und als äußre Gewalt betrachtet. Es entdeckt sich, daß diese technische Form etwas
Auswärtiges ist, daß sie ihm durch den Verstand des Künstlers gewalttätig aufgedrungen
worden. Ob also gleich die technische Form des Instruments, wie wir angenommen haben,
reine Autonomie enthält und äußert, so ist sie selbst doch Heteronomie gegen das Ding, an
dem sie sich findet. Ob sie gleich keinen Zwang, weder von seiten des Stoffs noch des
Künstlers erleidet, so übt sie ihn doch gegen die eigene Natur des Dinges aus - sobald wir
dieses als ein Naturding betrachten, welches einem logischen Ding (einem Begriffe) zu dienen
genötigt wird.
Was wäre also Natur in dieser Bedeutung? Das innere Prinzip der Existenz an einem Dinge,
zugleich als der Grund seiner Form betrachtet; die innere Notwendigkeit der Form. Die Form
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muß im eigentlichsten Sinne zugleich selbstbestimmend und selbstbestimmt sein; nicht bloße
Autonomie, sondern Heautonomie muß da sein. Aber, wirst Du hier einwenden, wenn die
Form mit der Existenz des Dinges zusammen eins ausmachen muß, um Schönheit
hervorzubringen, wo bleiben die Schönheiten der Kunst, welche diese Heautonomie niemals
haben können? Ich will Dir darauf antworten, wenn wir erst zu dem Schönen der Kunst
gekommen sind, denn dieses erfodert ein ganz eigenes Kapitel. Nur so viel kann ich Dir im
voraus sagen, daß diese Foderung von der Kunst nicht darf abgewiesen werden, und daß auch
die Formen der Kunst mit der Existenz des Geformten eins ausmachen müssen, wenn sie auf
die höchste Schönheit Anspruch machen sollen: und da sie dieses in der Wirklichkeit nicht
können, weil die menschliche Form an einem Marmor immer zufällig bleibt, so müssen sie
wenigstens so erscheinen.
Was ist also Natur in der Kunstmäßigkeit? Autonomie in der Technik? Sie ist die reine
Zusammenstimmung des innern Wesens mit der Form, eine Regel, die von dem Dinge selbst
zugleich befolgt und gegeben ist. (Aus diesem Grunde ist in der Sinnenwelt nur das Schöne
ein Symbol des in sich Vollendeten oder des Vollkommenen, weil es nicht wie das
Zweckmäßige auf etwas außer sich braucht bezogen zu werden, sondern sich selbst zugleich
gebietet und gehorcht und sein eigenes Gesetz vollbringt.)
Ich hoffe, Dich nunmehr in den Stand gesetzt zu haben, mir ungehindert zu folgen, wenn
ich von Natur, von Selbstbestimmung, von Autonomie und Heautonomie, von Freiheit und
von Kunstmäßigkeit spreche. Du wirst auch mit mir darüber einig sein, daß diese Natur und
diese Heautonomie objektive Beschaffenheiten der Gegenstände sind, denen ich sie
zuschreibe, denn sie bleiben ihnen, auch wenn das vorstellende Subjekt ganz hinweggedacht
wird. Der Unterschied zwischen zwei Naturwesen, worunter das eine ganz Form ist und eine
vollkommene Herrschaft der lebendigen Kraft über die Masse zeigt, das andre aber von seiner
Masse unterjocht worden ist, bleibt übrig, auch nach völliger Hinwegdenkung des
beurteilenden Subjekts. Ebenso ist der Unterschied zwischen einer Technik durch Verstand
und einer Technik durch Natur (wie bei allem Organischen) gänzlich unabhängig von der
Existenz des vernünftigen Subjekts. Er ist also objektiv, und also ist es auch der Begriff von
einer Natur in der Technik, der sich darauf gründet.
Freilich ist die Vernunft nötig, um von dieser objektiven Eigenschaft der Dinge gerade
einen solchen Gebrauch zu machen, wie bei dem Schönen der Fall ist. Aber dieser subjektive
Gebrauch hebt die Objektivität des Grundes nicht auf, denn auch mit dem Vollkommenen, mit
dem Guten, mit dem Nützlichen hat es dieselbe Bewandtnis, ohne daß darum die Objektivität
dieser Prädikate weniger gegründet wäre. »Freilich wird der Begriff der Freiheit selbst, oder
das Positive, von der Vernunft erst in das Objekt hineingelegt, indem sie dasselbe unter der
Form des Willens betrachtet, aber das Negative dieses Begriffs gibt die Vernunft dem Objekte
nicht, sondern sie findet es in demselben schon vor. Der Grund der dem Objekte
zugesprochenen Freiheit liegt also doch in ihm selbst, obgleich die Freiheit nur in der
Vernunft liegt.«
Kant stellt in seiner »Kritik der Urteilskraft«, pag. 177, einen Satz auf, der von ungemeiner
Fruchtbarkeit ist und der, wie ich denke, erst aus meiner Theorie seine Erklärung erhalten
kann. Natur, sagt er, ist schön, wenn sie aussieht wie Kunst; Kunst ist schön, wenn sie
aussieht wie Natur. Dieser Satz macht also die Technik zu einem wesentlichen Requisit des
Naturschönen und die Freiheit zur wesentlichen Bedingung des Kunstschönen. Da aber das
Kunstschöne schon an sich selbst die Idee der Technik, das Naturschöne die Idee der Freiheit
mit einschließt, so gesteht also Kant selbst ein, daß Schönheit nichts anders als Natur in der
Technik, Freiheit in der Kunstmäßigkeit sei.
Wir müssen erstlich wissen, daß das schöne Ding ein Naturding ist, d.i. daß es durch sich
selbst ist; zweitens muß es uns vorkommen, als ob es durch eine Regel wäre, denn er sagt ja,
es muß aussehen wie Kunst. Beide Vorstellungen: es ist durch sich selbst, und es ist durch
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eine Regel, lassen sich aber nur auf eine einzige Art vereinigen, nämlich, wenn man sagt: es
ist durch eine Regel, die es sich selbst gegeben hat. Autonomie in der Technik, Freiheit in der
Kunstmäßigkeit.
Es könnte aus dem Bisherigen scheinen, als ob Freiheit und Kunstmäßigkeit einen völlig
gleichen Anspruch auf das Wohlgefallen hätten, das uns die Schönheit einflößt, als ob die
Technik mit der Freiheit in gleicher Reihe stünde, und da hätte ich freilich sehr unrecht, daß
ich in meiner Erklärung vom Schönen (Autonomie in der Erscheinung) bloß auf die Freiheit
Rücksicht nahm und der Technik gar nicht erwähnte. Aber meine Definition ist sehr genau
abgewogen worden. Technik und Freiheit haben nicht dasselbe Verhältnis zum Schönen.
Freiheit allein ist der Grund des Schönen, Technik ist nur der Grund unserer Vorstellung von
der Freiheit, jene also der unmittelbare Grund, diese nur mittelbar die Bedingung der
Schönheit. Technik nämlich trägt nur insofern zur Schönheit bei, als sie dazu dient, die
Vorstellung der Freiheit zu erregen.
Vielleicht kann ich diesen Satz - der übrigens aus dem Vorhergehenden schon ziemlich klar
ist - noch auf folgendem Wege erläutern.
Bei dem Naturschönen sehen wir mit unsern Augen, daß es aus sich selbst ist; daß es durch
eine Regel sei, sagt uns nicht der Sinn, sondern der Verstand. Nun verhält sich aber die Regel
zur Natur wie Zwang zur Freiheit. Da wir uns nun die Regel bloß denken, die Natur aber
sehen, so denken wir uns Zwang und sehen Freiheit. Der Verstand erwartet und fodert eine
Regel, der Sinn lehrt, daß das Ding durch sich selbst und durch keine Regel ist. Läge uns nun
an der Technik, so müßte uns die fehlgeschlagene Erwartung verdrießen, die uns doch
vielmehr Vergnügen macht. Also muß uns an der Freiheit und nicht an der Technik liegen.
Wir hätten Ursache, aus der Form des Dinges auf einen logischen Ursprung, also auf
Heteronomie zu schließen, und wider Erwartung finden wir Autonomie. Da wir über diesen
Fund froh sind und uns dadurch gleichsam von einer Sorge (die in unserm praktischen
Vermögen ihren Sitz hat) erleichtert fühlen, so beweist dieses, daß wir bei der Regelmäßigkeit
nicht soviel als bei der Freiheit gewinnen. Es ist bloß ein Bedürfnis unserer theoretischen
Vernunft, uns die Form des Dings als abhängig von einer Regel zu denken; aber daß es durch
keine Regel, sondern durch sich selbst ist, ist ein Faktum für unsern Sinn. Wie könnten wir
aber einen ästhetischen Wert auf die Technik legen und doch mit Wohlgefallen wahrnehmen,
daß ihr Gegenteil wirklich ist? Also dient die Vorstellung der Technik bloß dazu, uns die
Nichtabhängigkeit des Produkts von derselben ins Gemüt zu rufen und seine Freiheit desto
anschaulicher zu machen.
Dieses leitet mich nun von selbst auf den Unterschied zwischen dem Schönen und dem
Vollkommenen. Alles Vollkommene, das Absolutvollkommene ausgenommen, welches das
Moralische ist, ist unter dem Begriff der Technik enthalten, weil es in der Übereinstimmung
des Mannigfaltigen zu Einem besteht. Da nun die Technik bloß mittelbar zu der Schönheit
beiträgt, insofern sie die Freiheit bemerkbar macht, das Vollkommene aber unter dem Begriff
der Technik enthalten ist, so sieht man gleich, daß es nur die Freiheit in der Technik ist, was
das Schöne von dem Vollkommenen unterscheidet. Das Vollkommene kann Autonomie
haben, insofern seine Form durch seinen Begriff rein bestimmt worden ist; aber Heautonomie
hat nur das Schöne, weil nur an diesem die Form durch das innere Wesen bestimmt ist.
Das Vollkommene, dargestellt mit Freiheit, wird sogleich in das Schöne verwandelt. Es
wird aber mit Freiheit dargestellt, wenn die Natur des Dinges mit seiner Technik
zusammenstimmend erscheint, wenn es aussieht, als wenn diese aus dem Dinge selbst
freiwillig hervorgeflossen wäre. Man kann das Bisherige auch kurz so ausdrücken:
Vollkommen ist ein Gegenstand, wenn alles Mannigfaltige an ihm zur Einheit seines Begriffs
übereinstimmt; schön ist er, wenn seine Vollkommenheit als Natur erscheint. Die Schönheit
wächst, wenn die Vollkommenheit zusammengesetzter wird und die Natur dabei nichts leidet;
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denn die Aufgabe der Freiheit wird mit der zunehmenden Menge des Verbundenen
schwüriger und ihre glückliche Auflösung eben darum überraschender.
Zweckmäßigkeit, Ordnung, Proportion, Vollkommenheit - Eigenschaften, in denen man die
Schönheit so lange gefunden zu haben glaubte - haben mit derselben ganz und gar nichts zu
tun. Wo aber Ordnung, Proportion etc. zur Natur eines Dinges gehören, wie bei allem
Organischen, da sind sie auch eo ipso unverletzbar, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern
weil sie von der Natur des Dinges unzertrennlich sind. Eine grobe Verletzung der Proportion
ist häßlich, aber nicht, weil Beobachtung der Proportion Schönheit ist. Ganz und gar nicht,
sondern weil sie eine Verletzung der Natur ist, also Heteronomie andeutet. Ich bemerke
überhaupt, daß der ganze Irrtum derer, welche die Schönheit in der Proportion oder in der
Vollkommenheit suchten, davon herrührt: sie fanden, daß die Verletzung derselben den
Gegenstand häßlich machte, daraus zogen sie gegen alle Logik den Schluß, daß die Schönheit
in der genauen Beobachtung dieser Eigenschaften enthalten sei. Aber alle diese Eigenschaften
machen bloß die Materie des Schönen, welche sich bei jedem Gegenstand abändern kann; sie
können zur Wahrheit gehören, welche auch nur die Materie der Schönheit ist. Die Form des
Schönen ist nur ein freier Vortrag der Wahrheit, der Zweckmäßigkeit, der Vollkommenheit.
Wir nennen ein Gebäude vollkommen, wenn sich alle Teile desselben nach dem Begriff
und dem Zwecke des Ganzen richten und seine Form durch seine Idee rein bestimmt worden
ist. Schön aber nennen wir es, wenn wir diese Idee nicht zu Hülfe nehmen müssen, um die
Form einzusehen, wenn sie freiwillig und absichtslos aus sich selbst hervorzuspringen und
alle Teile sich durch sich selbst zu beschränken scheinen. Ein Gebäude kann deswegen
(beiläufig zu sagen) nie ein ganz freies Kunstwerk sein und nie ein Ideal der Schönheit
erreichen, weil es schlechterdings unmöglich ist, an einem Gebäude, das Treppen, Türen,
Kamine, Fenster und Öfen braucht, ohne Hülfe eines Begriffs auszureichen und also
Heteronomie zu verbergen. Völlig rein kann also nur diejenige Kunstschönheit sein, deren
Original in der Natur selbst sich findet.
Schön ist ein Gefäß, wenn es, ohne seinem Begriff zu widersprechen, einem freien Spiel
der Natur gleichsieht. Die Handhabe an einem Gefäß ist bloß des Gebrauchs wegen, also
durch einen Begriff, da; soll aber das Gefäß schön sein, so muß diese Handhabe so
ungezwungen und freiwillig daraus hervorspringen, daß man ihre Bestimmung vergißt. Ginge
sie aber in einem rechten Winkel ab, verengte sich der weite Bauch plötzlich zu einem engen
Halse und dergleichen, so würde diese abrupte Veränderung der Richtung allen Schein von
Freiwilligkeit zerstören und die Autonomie der Erscheinung würde verschwinden.
Wann sagt man wohl, daß eine Person schön gekleidet sei? Wenn weder das Kleid durch
den Körper, noch der Körper durch das Kleid an seiner Freiheit etwas leidet; wenn dieses
aussieht, als wenn es mit dem Körper nichts zu verkehren hätte und doch aufs vollkommenste
seinen Zweck erfüllt. Die Schönheit oder vielmehr der Geschmack betrachtet alle Dinge als
Selbstzwecke und duldet schlechterdings nicht, daß eins dem andern als Mittel dient oder das
Joch trägt. In der ästhetischen Welt ist jedes Naturwesen ein freier Bürger, der mit dem
Edelsten gleiche Rechte hat, und nicht einmal um des Ganzen willen darf gezwungen werden,
sondern zu allem schlechterdings konsentieren muß. In dieser ästhetischen Welt, die eine ganz
andere ist als die vollkommenste platonische Republik, fodert auch der Rock, den ich auf dem
Leibe trage, Respekt von mir für seine Freiheit, und er verlangt von mir, gleich einem
verschämten Bedienten, daß ich niemanden merken lasse, daß er mir dient. Dafür aber
verspricht er mir auch reciproce, seine Freiheit so bescheiden zu gebrauchen, daß die meinige
nichts dabei leidet; und wenn beide Wort halten, so wird die ganze Welt sagen, daß ich schön
angezogen sei. Spannt hingegen der Rock, so verlieren wir beide, der Rock und ich, von
unsrer Freiheit. Deswegen sind alle ganz enge und ganz weite Kleidungsarten gleich wenig
schön, denn nicht zu rechnen, daß beide die Freiheit der Bewegungen einschränken, so zeigt
bei der engen Kleidung der Körper seine Figur nur auf Kosten des Kleides, und bei der weiten
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Kleidung verbirgt der Rock die Figur des Körpers, indem er sich selbst mit der seinigen
aufbläht und seinen Herrn zu seinem bloßen Träger herabsetzt.
Eine Birke, eine Fichte, eine Pappel ist schön, wenn sie schlank emporsteigt, eine Eiche,
wenn sie sich krümmt; die Ursache ist, weil diese sich selbst überlassen die krumme, jene
hingegen die gerade Richtung lieben. Zeigt sich also die Eiche schlank und die Birke
verbogen, so sind sie beide nicht schön, weil ihre Richtungen fremden Einfluß, Heteronomie
verraten. Wird hingegen die Pappel vom Winde gebogen, so finden wir dies wieder schön,
weil sie durch ihre schwankende Bewegung ihre Freiheit äußert.
Welchen Baum wird sich der Maler am liebsten aufsuchen, um ihn in Landschaften zu
benutzen? Denjenigen gewiß, der von der Freiheit Gebrauch macht, die ihm bei aller Technik
seines Baues gelassen ist - der sich nicht nach seinem Nachbar sklavisch richtet, sondern sich,
selbst mit einiger Kühnheit, etwas herausnimmt, aus seiner Ordnung tritt, sich eigensinnig
dahin oder dorthin wendet, wenn er auch gleich hier eine Lücke lassen, dort etwas durch seine
ungestüme Dazwischenkunft verwirren müßte. An demjenigen hingegen, der immer in
einerlei Richtung verharrt, auch wenn ihm seine Gattung weit mehr Freiheit vergönnt, dessen
Äste ängstlich in Reih und Glied bleiben, als wenn sie nach der Schnur gezogen wären, wird
er mit Gleichgültigkeit vorübergehen.
An jeder großen Komposition ist es nötig, daß sich das Einzelne einschränke, um das
Ganze zum Effekt kommen zu lassen. Ist diese Einschränkung des Einzelnen zugleich eine
Wirkung seiner Freiheit, d.i. setzt es sich diese Grenze selbst, so ist die Komposition schön.
Schönheit ist durch sich selbst gebändigte Kraft; Beschränkung aus Kraft.
Eine Landschaft ist schön komponiert, wenn alle einzelne Partien, aus denen sie besteht, so
ineinanderspielen, daß jene sich selbst ihre Grenze setzt und das Ganze also das Resultat von
der Freiheit des Einzelnen ist. Alles in einer Landschaft soll auf das Ganze bezogen sein, und
alles Einzelne soll doch nur unter seiner eigenen Regel zu stehen, seinem eigenen Willen zu
folgen scheinen. Es ist aber unmöglich, daß die Zusammenstimmung zu einem Ganzen kein
Opfer von seiten des Einzelnen koste, da die Kollision der Freiheit unvermeidlich ist. Der
Berg wird also auf manches einen Schatten werfen wollen, was man beleuchtet haben will,
Gebäude werden die Naturfreiheit einschränken, die Aussicht hemmen, die Zweige werden
lästige Nachbarn sein, Menschen, Tiere, Wolken wollen sich bewegen, denn die Freiheit des
Lebendigen äußert sich nur in Handlung. Der Fluß will in seiner Richtung kein Gesetz von
dem Ufer annehmen, sondern seinem eigenen folgen; kurz: jedes Einzelne will seinen Willen
haben. Wo bliebe aber nun die Harmonie des Ganzen, wenn jedes nur für sich selbst sorgt?
Daraus eben geht sie hervor, daß jedes aus innerer Freiheit sich gerade die Einschränkung
vorschreibt, die das andere braucht, um seine Freiheit zu äußern. Ein Baum im Vordergrund
könnte eine schöne Partie im Hintergrund bedecken; ihn zu nötigen, daß er das nicht tut,
würde seiner Freiheit zu nahe getreten sein und Stümperei verraten. Was tut also der
verständige Künstler? Er läßt denjenigen Ast des Baumes, der den Hintergrund zu verhüllen
droht, aus eigener Schwere sich heruntersenken und dadurch dem hintern Prospekte freiwillig
Platz machen; und so vollbringt der Baum den Willen des Künstlers, indem er bloß seinem
eigenen folgt.
Eine Versifikation ist schön, wenn jeder einzelne Vers sich selbst seine Länge und Kürze,
seine Bewegung und seinen Ruhepunkt gibt, jeder Reim sich aus innerer Notwendigkeit
darbietet und doch wie gerufen kommt - kurz, wenn kein Wort von dem andern, kein Vers
von dem andern Notiz zu nehmen, bloß seiner selbst wegen dazustehen scheint und doch alles
so ausfällt, als wenn es verabredet wäre.
Warum ist das Naive schön? Weil die Natur darin über Künstelei und Verstellung ihre
Rechte behauptet. Wenn uns Virgil einen Blick in das Herz der Dido will werfen lassen und
uns zeigen will, wie weit es mit ihrer Liebe gekommen ist, so hätte er dies als Erzähler recht
gut in seinem eigenen Namen sagen können; aber dann würde diese Darstellung auch nicht
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schön gewesen sein. Wenn er uns aber die nämliche Entdeckung durch die Dido selbst
machen läßt, ohne daß sie die Absicht hat, so aufrichtig gegen uns zu sein (siehe das Gespräch
zwischen Anna und Dido im Anfang des vierten Buchs), so nennen wir dies wahrhaft schön;
denn es ist die Natur selbst, welche das Geheimnis ausplaudert.
Gut ist eine Lehrart, wo man vom Bekannten zum Unbekanten fortschreitet; schön ist sie,
wenn sie sokratisch ist, d.i., wenn sie dieselbe Wahrheiten aus dem Kopf und Herzen des
Zuhörers herausfragt. Bei der ersten werden dem Verstand seine Überzeugungen in forma
abgefodert, bei der zweiten werden sie ihm abgelockt.
Warum wird die Schlangenlinie für die schönste gehalten? Ich habe an dieser einfachsten
aller ästhetischen Aufgaben meine Theorie besonders geprüft, und ich halte diese Probe
darum für entscheidend, weil bei dieser einfachen Aufgabe keine Täuschung durch
Nebenursachen stattfinden kann.
Eine Schlangenlinie, kann der Baumgartenianer sagen, ist darum die schönste, weil sie
sinnlich vollkommen ist. Es ist eine Linie, die ihre Richtung immer abändert
(Mannigfaltigkeit) und immer wieder zu derselben Richtung zurückkehrt (Einheit). Wäre sie
aber aus keinem bessern Grunde schön, so müßte es folgende Linie auch sein:
welche gewiß nicht schön ist. Auch hier ist Veränderung der Richtung; ein Mannigfaltiges,
nämlich a, b, c, d, e, f, g, h, i; und Einheit der Richtung ist auch da, welche der Verstand
hineindenkt und die durch die Linie k l vorgestellt ist. Diese Linie ist nicht schön, ob sie
gleich sinnlich vollkommen ist.
Folgende Linie aber ist eine schöne Linie, oder könnte es doch sein, wenn meine Feder
besser wäre.
Nun ist der ganze Unterschied zwischen dieser zweiten und jener bloß der, daß jene ihre
Richtung ex abrupto, diese aber unmerklich verändert; der Unterschied ihrer Wirkungen auf
das ästhetische Gefühl muß also in diesem einzig bemerkbaren Unterschied ihrer
Eigenschaften gegründet sein. Was ist aber eine plötzlich veränderte Richtung anders als eine
gewaltsam veränderte? Die Natur liebt keinen Sprung. Sehen wir sie einen tun, so zeigt es,
daß ihr Gewalt geschehen ist. Freiwillig hingegen erscheint nur diejenige Bewegung, an der
man keinen bestimmten Punkt angeben kann, bei dem sie ihre Richtung abänderte. Und dies
ist der Fall mit der Schlangenlinie, welche sich von der oben abgebildeten bloß durch ihre
Freiheit unterscheidet.
Ich könnte noch Beispiele genug anhäufen, um zu zeigen, daß alles, was wir schön nennen,
sich dieses Prädikat bloß durch die Freiheit in seiner Technik erwerbe. Aber an den
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angeführten Proben mag es vor jetzt genug sein. Weil also Schönheit an keiner Materie haftet,
sondern bloß in der Behandlung besteht; alles aber, was [sich] den Sinnen vorstellt, technisch
oder nicht technisch, frei oder nicht frei erscheinen kann, so folgt daraus, daß sich das Gebiet
des Schönen sehr weit erstrecke, weil die Vernunft bei allem, was Sinnlichkeit und Verstand
ihr unmittelbar vorstellen, nach der Freiheit fragen kann und muß. Darum ist das Reich des
Geschmacks ein Reich der Freiheit - die schöne Sinnenwelt das glückliche Symbol, wie die
moralische sein soll, und jedes schöne Naturwesen außer mir ein glücklicher Bürge, der mir
zuruft: Sei frei wie ich.
Darum stört uns jede sich aufdringende Spur der despotischen Menschenhand in einer
freien Naturgegend, darum jeder Tanzmeisterzwang im Gange und in den Stellungen, darum
jede Künstelei in den Sitten und Manieren, darum alles Eckige im Umgang, darum jede
Beleidigung der Naturfreiheit in Verfassungen, Gewohnheiten und Gesetzen.
Es ist auffallend, wie sich der gute Ton (Schönheit des Umgangs) aus meinem Begriff der
Schönheit entwickeln läßt. Das erste Gesetz des guten Tones ist: Schone fremde Freiheit. Das
zweite: Zeige selbst Freiheit. Die pünktliche Erfüllung beider ist ein unendlich schweres
Problem, aber der gute Ton fodert sie unerläßlich, und sie macht allein den vollendeten
Weltmann. Ich weiß für das Ideal des schönen Umgangs kein passenderes Bild als einen gut
getanzten und aus vielen verwickelten Touren komponierten englischen Tanz. Ein Zuschauer
aus der Galerie sieht unzählige Bewegungen, die sich aufs bunteste durchkreuzen und ihre
Richtung lebhaft und mutwillig verändern und doch niemals zusammenstoßen. Alles ist so
geordnet, daß der eine schon Platz gemacht hat, wenn der andere kommt, alles fügt sich so
geschickt und doch wieder so kunstlos ineinander, daß jeder nur seinem eigenen Kopf zu
folgen scheint und doch nie dem andern in den Weg tritt. Es ist das treffendste Sinnbild der
behaupteten eigenen Freiheit und der geschonten Freiheit des andern.
Alles, was man gewöhnlich Härte nennt, ist nichts anders als das Gegenteil des Freien.
Diese Härte ist nichts anders als das Gegenteil des Freien. Diese Härte ist es, was oft der
Verstandesgröße, oft selbst der moralischen ihren ästhetischen Wert benimmt. Der gute Ton
verzeiht auch dem glänzendsten Verdienst diese Brutalität nicht, und liebenswürdig wird die
Tugend selbst nur durch Schönheit. Schön ist aber ein Charakter, eine Handlung nicht, wenn
sie die Sinnlichkeit des Menschen, dem sie zukommen, unter dem Zwang des Gesetzes zeigen
oder der Sinnlichkeit des Zuschauers Zwang antun. In diesem Falle werden sie bloß Achtung,
aber nicht Gunst, nicht Neigung einflößen; bloße Achtung demütigt den, der sie empfindet...
Daher rührt es, daß uns oft bloß affektionierte Handlungen mehr gefallen als rein moralische,
weil sie Freiwilligkeit zeigen, weil sie durch die Natur (den Affekt), nicht durch die
gebieterische Vernunft wider das Interesse der Natur vollbracht werden - daher mag es
kommen, daß uns die milden Tugenden mehr als die heroischen, das Weibliche so oft mehr
als das Männliche gefällt; denn der weibliche Charakter, auch der vollkommenste, kann nie
anders als aus Neigung handeln. (215-232)
III. Hölderlin
Die Anschauung des Ideals
Griechenland, die griechische Inseln, die (ewige, süße) Jugend, Frühling, die Erde, das
fromme Leben, Wachsein, „die stille große allbelebende Natur, die älter ist denn die Zeiten„;
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das Ideal der Naturschönheit; Gefühl, Begeisterung, Innerlichkeit, idealische Stimmung,
Leidenschaft, in sich gekehrte Natur, ursprüngliche Natur, Innigkeit des Dichters, „der
Mensch gehalten und gewogen in Göttlichem„; goldener Traum, der Morgen, das
Morgenlicht, die Unschuld, die friedliche Wiege der Erde, „die blühende Ruhe des immer
Guten„; die Selbstliebe der schönen Seele, des Dichters; die schönere Zeit, die Freiheit der
Natur (die höchste Einfalt), die Alpen, Tag, Tag der Schönheit, „die blühende Ruhe der immer
Guten„; das häusliche Herd,
Die Anschauung der Unterscheidung
Als Bestimmung
„Die Ketten der ehernen, wandelbaren, mächtigen Zeit;„ die unerbittliche Schicksalstunde
(Nemesis), die Notwendigkeit, Wolkengewitter, in die Ferne, hinaus gehen, Zwist, Fluch (der
Jahre), Wolkengewitter, zu Zeiten des Jahres, Altsein, Blindsein, Todsein, Lebensmüde, Still,
Alleinsein, Dagegen die bloße Welt, Äußerlichkeit, kalte Tatsachen, die unendliche Nacht
bannt und hemmt (den Dichter); Stachel und Zügel zu hemmen und zu fordern; die stürmische
Zeit, der Nordwind; „die erstaunende Nacht mir zürnt, mich hemmt;„ „die gewaltige Nacht
zieht mich immer, herzlos;„ die Stachel der Unruhe, „der Geist der Unruhe, der in die Brust
der Erde und der Menschen zürnt und gärt;„ „in Unmut liegen, schief, am kahlen Ufer
frierend;„ im Geschick stehend, in der Fremde gestorben; der Strom, „der Bahn und Grenze
macht mit Gewalt auf der ursprünglich pfadlosen aufwärtswachsenden Erde„ (3,321); Sturm,
Alpen, Bergen, Gesetz, Tod, „mein Abend atmet kalt schon;„ In die Ferne gehen.
Als Bewegung und Weg des Dichters:
Ihr, meine Seiten, tönt ihm nach, mein Lied, Der Dichter als Ort der Einigkeit. Vernunft
(Göttliches) und Wirklichkeit (Menschliches) dichtend in einander gehen; Fühlen, Dichten,
Ahnen, Singen, Loben, Preisen, die Nähe zum Himmel (Dichter-Vogel), Gedächtnis,
Mahnmal, Andenken, Erinnerung, Gesang als mein freundliches Asyl, der Garten mit
sorgender Liebe gepflegt, „wo ich, wandelnd unter den Blüten, den immergrünen, in sicherer
Einfalt wohne„ (Mein Eigentum); „Beruf ist’s mir zu rühmen Höheres, dann gab die Sprache
der Gott und den Dank ins Herz mir.„ „Ich harrte und sah es kommen.„ „Ihr, meine Saiten,
tönt ihm nach, mein Lied aus Lieb und Leid„, „mein Gedanken schafft sich Gestalten„; „Nur
was blühet, erkenne ich, was er sinnet erkenn ich nicht„; „zu ahnen ist süß;„ der Vogel,
Vogelgesang, Flug, Überschauen, es haben die Boten dein Herz gefunden; ich höre die
Stimme des Donners, das Herz ist wieder wach; Gedicht, Gedächtnis, Mahnmal, Andenken,
Erinnerung; Gesang als mein freundliches Asyl; der Garten mit sorgende Liebe Gepflegt, was
bleibet stiften die Dichter; ich harrte und sah es kommen, das Heilige sei mein Wort, im Liede
wehet ihr Geist, Taten arm und Gedankenvoll, der Dichter empfängt Strahlen aus schönere
Zeit. der enthüllend Gesang des Dichters, „die Liebe der Dichter, im Leiden adelt sich zur
Tapferkeit die Seele;„
„Wir durchlaufen alle eine exzentrische Bahn, und es ist kein anderer Weg möglich von der
Kindheit zur Vollendung. Die selige Einigkeit, das Sein, im einzigen Sinne des Wortes, ist für
uns verloren, und wir mußten es verlieren, wenn wir es erstreben, erringen sollten. Wir reißen
uns los vom friedlichen  der Welt, um es herzustellen, durch uns selbst. Wir sind
zerfallen mit der Natur, und was einst, wie man glauben kann, eins war, widerstreitet sich
jetzt, und Herrschaft und Knechtschaft wechselt auf beiden Seiten. Oft ist uns, als wäre die
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Welt alles und wir nichts, oft aber auch, als wären wir alles und die Welt nichts. Auch
Hyperion teilte sich unter diese beiden Extreme.
Jene ewigen Widerstreit zwischen unserem Selbst und der Welt zu endigen, den Frieden alles
Friedens, der höher ist, denn alle Vernunft, den wiederzubringen, uns mit der Natur zu
vereinigen zu einem unendlichen Ganzen, das ist das Ziel all unseres Strebens, wir mögen uns
darüber verstehen oder nicht.
Aber weder unser Wissen noch unser Handeln gelangt in irgendeiner Periode des Daseins
dahin, wo aller Widerstreit aufhört, wo alles eins ist; die bestimmte Linie vereinigt sich mit
der unbestimmten nur in unendlicher Annäherung.
Wir hätten auch keine Ahnung von jenem unendlichen Frieden, von jenem Sein, im einzigen
Sinne des Wortes, wir strebten gar nicht, die Natur mit uns zu vereinigen, wir dächten und wir
handelten nicht, es wäre überhaupt gar nichts (für uns), wir wären selbst nichts (für uns), wenn
nicht dennoch jene unendliche Vereinigung, jenes Sein, im einzigen Sinne des Wortes
vorhanden wäre. Es ist vorhanden – als Schönheit; es wartet, um mit Hyperion zu reden, ein
neues Reich auf uns, wo die Schönheit Königin ist.
...ich habe mich des Stückwerks überhoben, das die Menschenhände gemacht, ich hab es
gefühlt, das Leben, der Natur, das höher ist, denn alle Gedanken. 257
Leidet nicht die heilige Natur? O meine Gottheit! Daß du trauern könntest, wie du selig bist,
das konnte ich lange nicht fassen. Aber die Wonne, die nicht leidet, ist Schlaf, und ohne Tod
ist kein Leben. Solltest du ewig sein, sie ein Kind und schlummern, dem Nichts gleich? Den
Sieg entbehren? Nicht die Vollendungen alle durchlaufen? Ja! Ja! Wert ist der Schmerz, am
Herzen der Menschen zu liegen, und dein Vertrauter zu sein, o Natur! Denn er nur führt von
einer Wonne zur anderen, und es ist kein andrer Gefährte, denn er—258
Die Anschauung des Grundes
„Ausgeglichen ist das Schicksal einer Weile;„ der ewige Friede; das Friedensfeier, das
Brautfest, das Vaterland, „Sich mit der Gottheit im Menschen vereint wissen;„ die Heiligkeit,
„das Gemeinwesen zwischen Menschenwesen und Gotteswesen„; „der Gott in uns soll
menschlich, zu Menschen kommen – der Mensch soll göttlich werden;„ Bund der Götter und
der Menschen; „hier wird das Fest des Vaterlandes besungen;„ „Alles ist gut;„
Die Anschauung des Vernunftwesens selbst
das Jahr der Seele, der Fluß, Vater Äther (die Bewegung der Jahren des Unterscheidens) - Das
grüßende Licht des Blickes und des Tages, in dem das Denken sich selbst erfährt - die
mütterliche Erde (der Boden des Ursprunges, der Verlassen wird und doch die Wurzel ist), die
Himmlischen, die Seligen, der Donnerer, das Licht
1. Der Blinde Sänger
Wo bist du, Jugendliches! Das immer mich
Zur Stunde weckt des Morgens, wo bist du, Licht!
Das Herz ist wach, doch bannt und hält in
Heiligem Zauber die Nacht mich immer.
2. Unter den Alpen Gesungen
3
2
Heiliger Unschuld, du der Menschen und der
Götter liebste vertrauteste!...
...
So mit den Himmlischen allen zu sein, und
Geht vorüber das Licht, und Strom und Wind, und
Zeit eilt hin zum Ort, vor ihnen ein stetes
Auge zu haben,
Seliger weiß und wünsch ich nichts, solange
Nicht auch mich, wie die Weide, fort die Flut nimmt,
Daß wohl aufgehoben, schlafend dahin ich
Muß in den Wogen;
Aber es bleibt daheim gern, wer in treuem
Büsen Göttliches hält, und frei will ich, so
Lang ich darf, euch all, ihr Sprachen des Himmels!
Deuten und singen.
3. Griechenland
O ihr Stimmen des Geschicks, ihr Wege des Wanderers!
Denn an der Schule Blau,
Fernher, am Tosen des Himmels
Tönt wie der Amsel Gesang
Der Wolken heitere Stimmung, gut
Gestimmt vom Dasein Gottes, dem Gewitter.
Und Rufe, wie Hinausschauen, zur
Unsterblichkeit und Helden...
4. Mnemosyne
Reif sind, in Feuer gekocht
Dir Früchte und auf der Erde geprüfet und ein Gesetz ist,
Daß alles hineingeht, Schlangen gleich,
Prophetisch, träumend auf
Den Hügeln des Himmels. Und vieles
wie auf den Schultern eine
Last von Scheitern ist
Zu behalten. Aber bös sind
Die Pfade. Nämlich unrecht,
Wie Rosse, gehen die gefangenen
Element und alten
Gesetze der Erd. Und immer
Ins Ungebundene geht eine Sehnsucht. Vieles aber ist
Zu behalten. Und Not die Treue.
Vorwärts aber und rückwärts wollen wir
Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie
Auf schwankendem Kahne der See.
Wie aber Liebes? Sonnenschein
Am Boden sehen wir und trockenen Staub
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Und heimatlich die Schatten der Wälder und es blühet
An Dächern der Rauch, bei alter Krone
Der Türme, friedsam; gut sind nämlich,
Hat gegenredend die Seele
Ein Himmlisches verwundet, die Tageszeichen.
...
Himmlische nämlich sind
Unwillig, wenn einer nicht die Seele schonend sich
Zusammengenommen, aber er muß doch; dem
Gleich fehlet der Trauer.
5. Andenken
Der Nordost wehet,
Der liebste unter den Winden
Mir, weil er feurigen Geist
Und gute Fahrt verheißt den Schiffern.
Geh aber nun und grüße
Die schöne Garonne,...
.....
Es reiche aber,
Des dunklen Lichtes voll.
Mir einer den duftenden Becher,
Damit ich ruhen möge; denn süß
Wär unter Schatten der Schlummer.
Nicht ist es gut,
Seellos von sterblichen
Gedanken zu sein. Doch gut
Ist ein Gespräch und zu sagen
Des Herzens Meinung, zu hören viel
Von Tagen der Lieb,
Und Taten, welche geschehen.
Wo aber sind die Freunde? ...
.......
Mancher
Trägt Scheue, an die Quellen zu gehen;
Es beginnt nämlich der Reichtum
Im Meer. Sie,
Wie Maler, bringen zusammen
Das Schöne der Erd und verschmähen
Den geflügelten Krieg nicht, und
Zu wohnen einsam, jahrlang, unter
Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht durchglänzen
Die Feiertage der Stadt,
Und Saitenspiel und eingeborener Tanz nicht.
Nun aber sind zu Indiern
Die Männer gegangen,
Dort and der luftigen Spitz
An Traubenbergen, wo herab
Die Dordogne kommt,
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4
Und zusammen mit der prächt’gen
Garonne meerbreit
Ausgehet der Strom. Es nehmt aber
Und gibt Gedächtnis die See,
Und die Lieb auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibet aber, stiften die Dichter.
6. Patmos
Voll Güt ist; keiner aber fasset
Allein Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Im Finstern wohnen
Die Adler, und furchtlos gehen
Die Söhne der Albern über den Abgrund weg
Auf leichtgebauten Brücken.
Drum, da gehäuft sind rings, um Klarheit,
Die Gipfel der Zeit,
Und die Liebsten nahe wohnen, ermattend auf
Getrenntesten Bergen,
So gib unschuldig Wasser,
O Fittiche gib uns, treusten Sinns
Hinüberzugehen und wiederzukehren.
....
7. Germanien
Nicht sie, die Seligen, die erschienen sind,
Die Götterbilder in dem alten Lande,
Sie darf ich ja nicht rufen mehr, wenn aber,
Ihr heimatlichen Wasser! Jetzt mit euch
Des Herzens Liebe klagt, w as will es anders,
Das heiligtrauernde? Denn voll Erwartung liegt
Das Land und als in heißen Tagen
Herabgesenkt, umschattet heut,
Ihr Sehnenden! Uns ahnungsvoll ein Himmel.
Voll ist er von Verheißungen und scheint
Mir drohend auch, doch will ich bei ihm bleiben,
Und rückwärts soll die Seele mir nicht fliehen
Zu euch, Vergangene! Die zu lieb mir sind.
Denn euer schönes Angesicht zu sehen,
Als wär’s, wie sonst, ich fürchte es, tödlich ist’s,
Und kaum erlaubt, Gestorbene zu wecken.
Entflohene Götter! Auch ihr, ihr gegenwärtigen, damals
Wahrhaftiger, ihr hattet eure Zeiten!
Nichts leugnen will ich hier und nichts erbitten.
Denn wenn es aus ist, und der Tag erloschen,
Wohl trifft’s den Priester erst, doch liebend folgt
Der Tempel und das Bild ihm auch und seine Sitte
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Zum dunkeln Land und keines mag noch scheinen.
Nur als von Grabesflammen, ziehet dann
Ein goldner Rauch, die Sage, drob hinüber,
Und dämmert jetzt uns Zweifelnden um das Haupt,
Und keiner weiß, wie ihm geschieht. Er fühlt
Die Schatten derer, so gewesen sind,
Die Alten, so die Erde neubesuchen.
Denn die da kommen sollen, drängen uns,
Und länger säumt von Göttermenschen
Die heilige Schar nicht mehr im blauen Himmel.
Schon grünet ja, im Vorspiel rauherer Zeit
Für sie erzogen, das Feld, bereitet ist die Gabe
Zum Opfermahl und Tal und Ströme sind
Weitoffen um prophetische Berge,
Daß schauen mag bis in den Orient
Der Mann und ihn von dort der Wandlungen viele bewegen.......
8. Der Rhein
Im dunkeln Efeu saß ich, an der Pforte
Des Waldes, eben, da der goldene Mittag,
Den Quell besuchend, herunterkam
Von Treppen des Alpengebirgs...wo aber
Geheim noch manches entschieden
Zu Menschen gelangt; von da
Vernahm ich ohne Vermuten
Ein Schicksal....dort
Im kältesten Abgrund hört
Ich um Erlösung jammern
Den Jüngling, es hörten ihn, wie er tobt‘,
Und die Mutter Erde anklagt‘,
Und den Donnerer, der ihn gezeugt,
Erbarmend die Eltern die Eltern, doch
Die Sterblichen flohen von dem Ort,
Denn furchtbar war, da lichtlos er
In den Fesseln sich wälzte,
Das Rasen des Halbgottes.
Die Stimme war’s des edelsten der Ströme,
Des freigeborenen Rheins,
Und anderes hoffte der, als droben von den Brüdern,
Dem Tessin und dem Rhodanus,
Er schied und wandern wollt, und ungeduldig ihn
Nach Asia trieb die königliche Seele.
Doch unverständig ist
Das Wünschen vor dem Schicksal.
Die Blindesten aber
Sind Göttersöhne. Denn es kennet der Mensch
Sein Haus und dem Tier ward, wo
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Es bauen solle, doch jenen ist
Der Fehl, daß sie nicht wissen wohin,
in die unerfahrne Seele gegeben.
Ein Rätsel ist Reinentsprungenes. Auch
Der Gesang kaum darf es enthüllen. Denn
Wie du anfingst, wirst du bleiben,
Soviel auch wirket die Not,
Und die Zucht, das meiste nämlich
Vermag die Geburt,
Und der Lichtstrahl, der
Dem Neugebornen begegnet.
Wo aber ist einer,
Um frei zu bleiben
Sein Leben lang,
und des Herzens Wunsch
Allein zu erfüllen, so
Aus günstigen Höhn, wie der Rhein,
Und so aus heiligem Schoße
Glücklich geboren, wie jener?
Drum ist ein Jauchzen sein Wort.
Nicht liebt er, wie andere Kinder,
In Wickelbanden zu weinen;
Denn wo die Ufer zuerst
An die Seit ihm schleichen, die krummen,
Und durstig umwindend ihn,
Den Unbedachten, zu ziehen
Und wohl zu behüten begehren
Im eigenen Zahne, lachend
Zerreißt er die Schlangen und stürzt
Mit der Beut und wenn in de Exil
Ein Größerer ihn nicht zähmt,
Ihn wachsen läßt, wie der Blitz, muß er
Die Erde spalten, und wie Bezauberte fliehen
Die Wälder ihm nach und zusammensinkend die Berge.
Ein Gott will aber sparen die Söhnen
Das eilende Leben und lächelt,
Wenn unenthaltsam, aber gehemmt
Von heiligen Alpen, ihm
In der Tiefe, wie jener, zürnen die Ströme.
In solcher Esse wird dann
Auch alles Lautre geschmiedet,
Und schön ist’s. wie er drauf,
Nachdem er die Berge verlassen,
Stillwandelnd sich im deutschen Lande
Begnügt und das Sehnen stillt
Im guten Geschäfte, wenn er das Land baut,
Der Vater Rhein, und liebe Kinder nährt
In Städten, die er gegründet.
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Doch nimmer, nimmer vergißt er’s.
Denn eher muß die Wohnung vergehn,
Und die Satzung und zum Unbild werden
Der Tag der Menschen, ehe vergessen
Ein solcher dürfte den Ursprung
Und die reine Stimme der Jugend.
Wer war es, der zuerst
Die Liebesbande verderbt
Und Stricke von ihnen gemacht hat?
Dann haben des eigenen Rechts
Und gewiß des himmlischen Feuers
Gespottet die Trotzigen, dann erst
Die sterblichen Pfade verachtend
Verwegnes erwählt
Und den Göttern gleich zu werden getrachtet.
Es haben aber an eigner
Unsterblichkeit die Götter genug, und bedürfen
Die Himmlischen eines Dinges,
So sind’s Heroen und Menschen
Und Sterbliche sonst. Denn weil
Die Seligsten nichts fühlen von selbst,
Muß wohl, wenn solches zu sagen
Erlaubt ist, in der Götter Namen
Teilnehmend fühlen ein andrer,
den brauchen sie; jedoch ihr Gericht
Ist, daß sein eigenes Haus
Zerbreche der und das Liebste
Wie den Feind schelt und sich Vater und Kind
Begrabe unter den Trümmern,
Wenn einer, wie sie, sein will und nicht
Ungleiches dulden, der Schwärmer.
Drum wohl ihm, welcher fand
Ein wohlbeschiedenes Schicksal,
Wo noch der Wanderungen
Und süß der Leiden Erinnerung
Aufrauscht am sichern Gestade,
Daß da- und dorthin gern
Er sehn mag bis an die Grenzen,
Die bei der Geburt ihm Gott
Zum Aufenthalte gezeichnet.
Dann ruht er, seligbescheiden,
Denn alles, was er gewollt,
Das Himmlische, von selber umfängt
Es unbezwungen, lächelnd
Jetzt, da er ruhet, den Kühnen.
Halbgötter denk ich jetzt
Und kennen muß ich die Teuern,
Weil oft ihr Leben so
Die sehnende Brut mir beweget.
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8
Wem aber, wie, Rousseau, dir,
Unüberwindlich die Seele,
Die starkausdauerende, ward,
Und sicherer Sinn
Und süße Gabe zu hören,
Zu reden so, daß er aus heiliger Fülle
Wie der Weingott, törig göttlich
Und gesetzlos sie, die Sprache der Reinesten, gibt
Verständlich den Guten, aber mit Recht
Die Achtungslosen mit Blindheit schlägt,
Die entweihenden Knechte, wie nenn ich den Fremden?
Die Söhne der Erde sind, wie die Mutter,
Alliebend, so empfangen sie auch
Mühlos, die Glücklichen, alles.
Drum überrascht es auch
Und schröckt den sterblichen Mann,
Wenn er den Himmel, den
Er mit den liebenden Armen
Sich auf die Schultern gehäuft,
Und die Last der Freude bedenket;
Dann scheint ihm oft das Beste,
Fast ganz vergessen da,
Wo der Strahl nicht brennt,
Im Schatten des Walds
Am Bielersee in frischer Grüne zu sein,
Und sorglosarm an Tönen,
Anfängern gleich, bei Nachtigallen zu lernen.
Und Herrlich ist’s, aus heiligem Schlafe dann
Erstehen und, aus Waldes Kühle
Erwachend, abends nun
Dem milderen Licht entgegenzugehn,
Wenn, der Die Berge gebaut
Und den Pfad der Ströme gezeichnet,
Nachdem er lächelnd auch
Der Menschen geschäftiges Leben,
Das othemarme, wie Segel
Mit seinen Lüften gelenkt hat,
Auch ruht und zu der Schülerin jetzt,
Der Bildner, Gutes mehr
Denn Böses findend,
Zur heutigen Erde der Tag sich neiget.—
Dann feiern das Brautfest Menschen und Götter,
Es feiern die Lebenden all,
Und ausgeglichen
Ist eine Weile das Schicksal.
Und die Flüchtlinge suchen die Herberg,
Und süßen Schlummer die Tapferen,
Die Liebenden aber
Sind, was sie waren, sie sind
3
9
Zu Hause, wo die Blume sich freuet
Unschädlicher Glut und die finsteren Bäume
Der Geist umsäuselt, aber die Unversöhnten
Sind umgewandelt und eilen
Die Hände sich ehe zu reichen,
Bevor das freundliche Licht
Hinuntergeht und die Nacht kommt.
Doch einigen eilt
Dies schnell vorüber, andere
Behalten es länger.
Die ewigen Götter sind
Voll Lebens allzeit; bis in den Tod
Kann aber ein Mensch auch
Im Gedächtnis doch das Beste behalten,
Und dann erlebt er das Höchste.
Nur hat ein jeder sein Maß.
Denn schwer zu tragen
Das Unglück, aber schwerer das Glück.
Ein Weise aber vermocht es
Vom Mittage bis in die Mitternacht,
Und bis der Morgen erglänzte,
Beim Gastmahl helle zu bleiben.
Dir mag auf heißem Pfade unter Tannen oder
Im Dunkel des Eichwalds gehüllt
In Stahl, mein Sinclair! Gott erscheinen oder
In Wolken, du kennst ihn, das du kennest, jugendlich,
Des Guten Kraft, und nimmer ist dir
Verborgen das Lächeln des Herrschers
Bei Tage, wenn
Es fieberhaft und angekettet das
Lebendige scheinet oder auch
Bei Nacht, wenn alles gemischt
Ist ordnungslos und wiederkehrt
Uralte Verwirrung.
9. Der Main
Wohl manches Land der lebenden Erde möchte
Ich sehen, und öfters über die Berg enteilt
Das Herz mir, und die Wünsche wandern
Über das Meer, zu den Ufern, die mir
Vor anderen, so ich kenne, gepriesen sind;
Doch lieb ist in der Ferne nicht eines mir,
Wie jenes, wo die Göttersöhne
Schlafen, das trauernde Land der Griechen.
Ach! einmal dort an Suniums Küste möchte
Ich landen, deiner Säulen, Olympion!
Erfragen, dort, noch eh der Nordsturm
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0
Hin in den Schutt der Athenentempel
Und ihrer Götterbilder auch dich begräbt;
Denn lang schon einsam stehst du, o Stolz der Welt,
Die nicht mehr ist! – und o ihr schönen
Inseln Ioniens...
...
Zu euch vielleicht, ihr Inseln! Gerät noch einst
Ein hematloser Sänger; denn wandern muß
Von Fremden er zu Fremden, und die
Erde, die freie, sie muß ja, leider!
Statt Vaterlands ihm dienen, solange er lebt,
Und wenn er stirbt – doch nimmer vergeß ich dich,
so fern ich wander, schöner Main! Und
deine Gestade, die vielbeglückten.
Gastfreundlich nahmst du, Stolzer! bei dir mich auf
Und heitertest das Auge dem Fremdlinge.
Und still hingleitende Gesänge
Lehrtest du mich und geräuschlos Leben.
O ruhig mit den Sternen, du Glücklicher!
Wallst du von deinem Morgen zum Abend fort,
Dem Bruder zu, dem Rhein, und dann mit
Ihm in den Ozean freudig nieder!
10. Hyperion
Es gibt zwei Ideale unseres Daseins: einen Zustand der höchsten Einfalt, wo unsre
Bedürfnisse mit sich selbst, und mit unsren Kräften, und mit allem, womit wir in Verbindung
stehen, durch die bloße Organisation der Natur, ohne unser Zutun, gegenseitig
zusammenstimmen, und einen Zustand der höchsten Bildung, wo dasselbe stattfinden würde
bei unendlich vervielfältigen und verstärkten Bedürfnissen und Kräften, durch die
Organisation , die wir uns selbst zu geben imstande sind. Die exzentrische Bahn, die der
Mensch, im allgemeinen und einzelnen, von einem Punkte (der mehr oder weniger reinen
Einfalt) zum anderen (der mehr oder weniger vollendeten Bildung) durchläuft, scheint sich ,
nach ihren wesentlichen Richtungen, immer gleich zu sein...Der Mensch möchte gerne in
allem und über allem sein, und die Sentenz in der Grabschrift des Loyola: non coerceri
maximo, contineri tamen a minimo - kann ebenso die alles begehrende, alles unterjochende
gefährliche Seite des Menschen, als den höchsten und schönsten ihm erreichbaren Zustand
bezeichnen... (Fragment von Hyperion)
Noch ahnte ich, ohne zu finden. Ich frage die Sterne, und sie verstummen, ich frage den Tag,
und die Nacht; aber sie antworten nicht. Aus mir selbst, wenn ich mich frage, tönen
mystische Sprüche, Träume ohne Deutung. Meinen Herzen ist oft wohl in dieser
Dämmerung. Ich weiß nicht, wie mir geschieht, wenn ich sie ansehe, diese unergründliche
Natur; aber es sind heilige selige Tränen, die ich weine vor der verschleierten Geliebten.
Mein ganzes Wesen verstummt und lauscht, wenn der leise geheimnisvolle Hauch des Abends
mich anweht. Verloren ins weite Blau, blicke ich oft hinauf an den Äther, und hinein ins
heilige Meer, und mir wird, als schlösse sich die Pforte des Unsichtbaren mir auf und ich
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1
verginge mit allem, was um mich ist, bis ein Rauschen im Gesträuche mich aufweckt aus dem
seligen Tode, und wider Willen zurückruft auf die Stelle, wovon ich ausging.
Meinem Herzen ist wohl in dieser Dämmerung. Ist sie unser Element, diese Dämmerung?
Warum kann ich nicht ruhen darinnen?
Da sah ich neulich einen Knaben am Wege liegen. Sorgsam hatte die Mutter, die ihn
bewachte, eine Decke über ihn gebreitet, daß er sanft schlummre im Schatten, und ihm die
Sonne nicht blende. Aber der Knabe wollte nicht bleiben, und riß die Decke weg, und ich sah,
wie er’s versuchte, bis ihm das Auge schmerzte und er weinend sein Gesicht zur Erde kehrte.
Armer Knabe! Dacht ich, andern ergeht’s nicht besser, und hatte mir beinahe vorgenommen,
abzulassen von dieser verwegenen Neugier. Aber ich kann nicht!, ich soll nicht!
Es muß heraus, das große Geheimnis, das mir das Leben gibt oder den Tod.
Unschuldigerweise hatte mich die Schule des Schicksals und der Weisen ungerecht und
tyrannische gegen die Natur gemacht. Der gänzliche Unglaube, den ich gegen alles hegte, was
ich aus ihren Händen empfing, ließ keine Liebe in mir gedeihen.
Du fragst mich, wenn auch die Menschen, ihrer Natur nach, sich über die Not erhaben und so
in einer mannigfaltigeren und innigeren Beziehung mit ihrer Welt sich befinden, wenn sie
auch, inwieweit sie über die physische und moralische Notdurft sich erheben, immer ein
menschlich höheres Leben leben, so daß ein höherer, mehr als mechanischer Zusammenhang,
daß ein höheres Geschick zwischen ihnen und ihrer Welt Sei, wenn auch wirklich dieser
höhere Zusammenhang ihnen ihr Heiligstes sei, weil sie in ihm sich selbst und ihre Welt und
alles, was sie haben und seien vereinigt fühlen, warum sie sich den Zusammenhang zwischen
sich und ihrer Welt gerade vorstellen, warum sie sich eine Idee oder ein Bild machen müssen
von ihrem Geschick, das sich, genau betrachtet, weder recht denken ließe noch auch vor den
Sinnen liege?
Muß nichts alles leiden? Und je trefflicher es ist, je tiefer! Leidet nicht die heilige Natur? O
meine Gottheit! Dass du trauern könntest, wie du selig bist, das konnte ich lange nicht fassen.
Aber die Wonne, die nicht leidet, ist Schlaf, und ohne Tod ist kein Leben. Solltest du ewig
sein, wie ein Kind und schlummern, dem Nichts gleich? Den Sieg entbehren? Nicht die
Vollendungen alle durchlaufen? Ja! Ja! wert ist der Schmerz, am Herzen der Menschen zu
liegen, und dein Vertrauter zu sein, o Natur! Denn er nur führt von einer Wonne zu anderen,
und es ist kein andrer Gefährte, denn er. (258)
IV. Kant
11. Der Wille ist eine Naturkraft und Vermögen, durch Vorstellungen, die Ursache der
Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein.
12. Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen also wechselweise auf einander
zurück. Ich frage hier nun nicht: ob sie auch in der Tat verschieden seien und nicht
vielmehr ein unbedingtes Gesetz bloß das Selbstbewußtsein einer reinen praktischen
Vernunft, diese aber ganz einerlei mit dem positiven Begriffe der Freiheit sei; sondern
wovon unsere Erkenntnis des Unbedingt-Praktischen anhebe, ob von der Freiheit, oder
dem praktischen Gesetz. Von der Freiheit kann es nicht anhaben; denn deren Können wir
uns weder unmittelbar bewußt werden, weil ihr erster Begriff negativ ist, noch darauf aus
der Erfahrung schließen, denn Erfahrung gibt uns nur das Gesetz der Erscheinungen,
mithin den Mechanismus Natur das gerade Widerspiel der Freiheit, zu erkennen. Also ist
es das moralische Gesetz, dessen wir uns unmittelbar bewußt werden (so bald wir uns
4
2
Maximen des Willens entwerfen), welches sich uns zuerst darbietet, und, indem die
Vernunft jenes als einen durch keine sinnlichen Bedingungen zu überwiegenden, ja davon
gänzlich unabhängigen Bestimmungsgrund darstellt, gerade auf den Begriff der Freiheit
führt. (51-52)
13. Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft: Handle so, dass die Maxime deines Willens
jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. (53)
14. Mann kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein Faktum der Vernunft nennen, weil
man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z.B. dem Bewußtsein der Freiheit
(denn dieses ist uns nicht vorher gegeben) herausvernünfteln kann, sondern weil es für
sich selbst uns aufdringt...(55)
15. Dieses Prinzip der Sittlichkeit nun, eben um der Allgemeinheit der Gesetzgebung willen,
die es zum formalen obersten Bestimmungsgrunde des Willens, unangesehen aller
subjektiven Verschiedenheiten desselben, macht, erklärt die Vernunft zugleich zu einem
Gesetze für alle vernünftigen Wesen, so fern sei überhaupt einen Willen d.i. ein Vermögen
haben, ihre Kausalität durch die Vorstellung von Regeln zu bestimmen, mithin so fern sie
der Handlungen nach Grundsätzen, folglich auch nach praktischen Prinzipien a priori
(denn diese haben allein diejenige Notwendigkeit, welche die Vernunft zum Grundsatze
fordert), fähig sind. Es schränkt sich also nicht bloß auf Menschen ein, sondern geht auf
alle endlichen Wesen, die Vernunft und Willen haben, ja schließt sogar das unendliche
Wesen, als oberste Intelligenz, mit ein. Im ersteren Falle aber hat das Gesetz die Form
eines Imperatives, weil man an jenem zwar, als vernünftigen Wesen, einen reinen, aber,
als mit Bedürfnissen und sinnlichen Bewegursachen affiziertem Wesen, keinen heiligen
Willen, d.i. einen solchen, der keiner dem moralischen Gesetze widerstreitenden Maximen
fähig wäre, bei jenen ein Imperativ, der kategorisch gebietet, weil das Gesetz unbedingt
ist; das Verhältnis eines solchen Willens zu diesem Gesetz ist Abhängigkeit, unter dem
Namen der Verbindlichkeit, welche eine Nötigung, obzwar durch bloße Vernunft und
deren objektives Gesetz, zu einer Handlung bedeutet, die darum Pflicht heißt (56-57)
16. Alle Neigungen zusammen, (die auch wohl in ein erträgliches System gebracht werden
können, und deren Befriedigung alsdann eigene Glückseligkeit heißt machen die
Selbstsucht (Solipsismus) aus. Diese ist entweder die der Selbstliebe, eines über alles
gehenden Wohlwollens gegen sich selbst (Philautia), oder die des Wohlgefallens an sich
selbst (Arrogantia). Jene heißt besonders Eigenliebe, diese Eigendünkel. Die reine
praktische Vernunft tut der Eigenliebe bloß Abbruch, indem sie solche als natürlich, und
noch vor dem moralischen Gesetze in uns rege, nur auf die Bedingung der Einstimmung
mit diesem Gesetze einschränkt; da sie alsdann vernünftige Selbstliebe genannt wird.
Aber den Eigendünkel schlägt sie gar nieder, indem alle Ansprüche der
Selbsteinschätzung, die vor der Übereinstimmung mit dem sittlichen Gesetze vorhergehen,
nichtig und ohne alle Befugnis sind, indem eben die Gewißheit einer Gesinnung, die mit
diesem Gesetz übereinstimmt, die erste Bedingung alles Wertes der Person ist...und alle
Anmaßung vor derselben falsch und gesetzwidrig ist. Da dieses Gesetz aber doch etwas
ans sich Positives ist, nämlich die Form einer intellektuellen Kausalität, d.i. der Freiheit,
so ist es, indem es im Gegensätze mit dem subjektiven Widerspiele, nämlich den
Neigungen in uns, den Eigendünkel schwächt, zugleich ein Gegenstand der Achtung, und
indem es ihn sogar niederschlägt, d.i. demütigt, ein Gegenstand der größten Achtung,
mithin auch der Grund eins positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprunges ist, und a
priori erkannt wird. (119-120)
17. Das Bewußtsein einer freien Unterwerfung des Willens unter das Gesetz, doch als mit
einem unvermeidlichen Zwange, der allen Neigungen, aber nur durch Vernunft angetan
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3
wird, verbunden, ist nun die Achtung fürs Gesetz. Das Gesetz, was diese Achtung fordert
und auch einflößt, ist... kein anderes, als das moralische (denn kein anderes schließt alle
Neigungen von der Unmittelbarkeit ihres Einflusses auf den Willen aus). Die Handlung,
die nach diesem Gesetz, mit Ausschließung aller Bestimmunggründe aus Neigung,
objektiv praktisch ist, heißt Pflicht, welche, um dieser Ausschließung willen, in ihrem
Begriffe, praktische Nötigung, d.i. Bestimmung zu Handlungen, so ungern, wie sie auch
geschehen mögen, enthält...Es enthält also, als Unterwerfung unter ein Gesetz, d.i. Gebot,
(welches für das sinnlich-affizierte Subjekt Zwang ankündigt,) keine Lust, sonder, so fern,
vielmehr Unlust an der Handlung in sich. Dagegen aber, da dieser Zwang bloß durch
Gesetzgebung der eigenen Vernunft ausgeübt wird, enthält es auch Erhebung, und die
subjektive Wirkung aufs Gefühl, so fern davon reine praktische Vernunft die alleinige
Ursache ist, kann also bloß Selbstbilligung in Ansehung der letzeren heißen, indem man
sich dazu ohne alle Interesse, bloß durch das Gesetz bestimmt erkennt und sich nunmehr
eines ganz anderen...Interessen, welches rein praktisch und frei ist, bewußt wird, welches
an einer pflichtmäßigen Handlung zu nehmen, nicht etwa eine Neigung anrätig ist,
sondern die Vernunft durchs praktische Gesetz schlechthin gebietet und auch wirklich
hervorbringt, darum aber einen ganz eigentümlichen Namen, nämlich den der Achtung
führt. (130-131)
18. Pflicht! Du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei
dich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was
natürliche Abneigung im Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen,
sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüte Eingang findet, und
doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenn gleich nicht immer Befolgung) erwirbt,
vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich insgeheim ihm entgegen wirken,
welches ist der deiner würdige Ursprung, und wo findet man die Wurzel deiner edlen
Abkunft, welche alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz ausschlägt, und von welcher
Wurzel abzustammen, die unnachlaßliche Bedingung desjenigen Werts ist, den sich
Menschen allein selbst geben können?
19. Es kann nichts Minderes sein, als was den Menschen über sich selbst (als einen Teil der
Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand
denken kann, und die zugleich die ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch-bestimmbaren
Dasein des Menschen in der Zeit und das Ganze aller Zwecke (welches allein solchen
unbedingten praktischen Gesetzen, als moralische, angemessen ist,) unter sich hat. Es ist
nichts anderes als die Persönlichkeit, d.i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem
Mechanismus er ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet,
welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen reinen
praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen
Persönlichkeit unterworfen ist, so fern sie zugleich zur intelligibelen Welt gehört; da es
denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehörig, sein
eigenes Wesen, in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung, nicht anders, als
mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung betrachten muß. (139140)
20. Diese Achtung erweckende Idee der Persönlichkeit, welche uns die Erhabenheit unserer
Natur (ihrer Bestimmung nach) vor Augen stellt, indem sie uns zugleich den Mangel der
Angemessenheit unseres Verhaltens in Ansehung derselben bemerken läßt, und dadurch
den Eigendünkel niederschlägt, ist selber der gemeinsten Menschenvernunft natürlich und
leicht bemerklich. Hat nicht jeder auch nur mittelmäßig ehrliche Mann bisweilen
gefunden, daß er eine sonst unschädliche Lüge, dadurch er sich entweder selbst, aus einem
verdrießlichen Handel ziehen, oder wohl gar einem geliebten und verdienstvollen Freunde
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Nutzen schaffen konnte, bloß darum unterließ, um sich insgeheim in seinen eigenen
Augen nicht verachten zu dürfen? Hält nicht einen rechtschaffenden Mann im größten
Unglücke des Lebens, das er vermeiden konnte, wenn er sich nur hätte über die Pflicht
wegsetzen können, noch das Bewußtsein aufrecht, daß er die Menschheit in seiner Person
doch in ihrer Würde erhalten und geehrt habe, daß er sich nicht vor sich selbst zu schämen
und den inneren Anblick der Selbstprüfung zu scheuen Ursache habe? Dieser Trost ist
nicht Glückseligkeit, auch nicht der mindeste Teil derselben. Denn niemand wird sich die
Gelegenheit dazu, auch vielleicht nicht einmal ein Leben in solchen Umständen
wünschen. Aber er lebt, und kann es nicht erdulden, in seinen eigenen Augen des Lebens
unwürdig zu sein. Diese innere Beunruhigung ist also bloß negativ, in Ansehung alles
dessen, was das Leben angenehm machen mag; nämlich sie ist die Abhaltung der Gefahr,
im persönlichen Werte zu sinken, nachdem der seines Zustandes von ihm schon gänzlich
aufgegeben worden. Sie ist Wirkung von einer Achtung für etwas ganz anderes, als das
Leben, womit in Vergleichung und Entgegensetzung, das Leben vielmehr, mit aller seiner
Annehmlichkeit, gar keinen Wert hat... So ist die echte Triebfeder der reinen praktischen
Vernunft beschaffen; sie ist keine andere, als das reine moralische Gesetz selber, so fern
es uns die Erhabenheit unserer eigenen übersinnlichen Existenz spüren läßt, und subjektiv,
in Menschen, die sich zugleich ihres sinnlichen Daseins und der damit verbundenen
Abhängigkeit von ihrer so fern sehr pathologisch affizierten Natur bewußt sind, Achtung
für ihre höhere Bestimmung wirkt. (141-143)
21. Das moralische Gesetz ist der alleinige Bestimmungsgrund des reinen Willens...das
höchste Gut mag immer der ganze Gegenstand einer reinen praktischen Vernunft, d.h.
eines reinen Willens sein, so ist es darum doch nicht für den Bestimmungsgrund desselben
zu halten, und das moralische Gesetz muß allein als der Grund angesehen werden, jenes,
und dessen Bewirkung oder Beförderung, sich zum Objekte zu machen. (175)
22. Um ein reines Erkenntnis praktisch zu erweitern, muß eine Absicht a priori gegeben sein,
d.i. ein Zweck, als Objekt (des Willens), welches...durch einen den Willen unmittelbar
bestimmenden (kategorischen) Imperativ, als praktisch-notwendig vorgestellt wird und
das ist hier das höchste Gut. Dieses ist nicht möglich, ohne drei theoretische Begriffe (für
die sich, weil sie bloße reine Vernunftsbegriffe sind, keine korrespondierende,
Anschauung, mithin, auf dem theoretischen Wege, keine objektive Realität finden läßt)
vorauszusetzen: nämlich Freiheit, Unsterblichkeit und Gott. (213)
23. Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und
Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte
Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in
Dunkelheit verhüllt, oder im Überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise suchen
und bloß vermuten (253)
V. Fichte
24. Also das Setzen des Ich durch sich selbst ist die reine Tätigkeit desselben. Das ich setzt
sich selbst, und es ist, vermöge dieses blossen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt:
das Ich ist, und es setzt sein Sein, vermöge seines blossen Seins. Es ist zugleich das
Handelnde, und das Produkt er Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit
hervorgebracht wird; Handlung und That sind Eins und ebendasselbe; und daher ist das;
Ich bin, Ausdruck einer Tathandlung; aber auch der einzig-möglichen, wie sich aus der
ganzen Wissenschaftlslehre ergeben muss. (Grundlage 96)
4
5
25. Dasjenige, dessen Sein (Wesen) bloß darin besteht, dass es sich selbst als seyend setzt, ist
das Ich, als absolutes Subjekt. So wie es sich setzt, ist es; und so wie es ist, setzt es sich;
und das Ich ist demnach für das Ich schlechthin und notwendig. Was für sich selbst nicht
ist, ist kein ich. (ebenda)
26. Zur Erläuterung! Man hört wohl die Frage aufwerfen; was war ich wohl, ehe ich zum
Selbstbewußtsein kam? Die natürliche Antwort darauf ist; ich war gar nicht; denn ich
war nicht ich. Das Ich ist nur insofern, inwiefern es sich seiner bewußt ist. Die
Möglichkeit jener Frage gründet sich auf eine Verwirrung zwischen dem Ich als Subjekt;
und dem Ich als Objekt der Reflexion des absoluten Subjekts, und ist an sich völlig
unstatthaft. Das Ich stellt sich selbst vor, nimmt insofern sich selbst in die Form der
Vorstellung auf und ist erst nun Etwas, ein Objekt; das Bewußtsein bekommt in dieser
Form ein Substrat, welches ist, auch ohne wirkliches Bewußtsein, und noch dazu
körperlich gedacht wird. Man denkt sich einen solchen Zustand, und fragt: Was war
damals das Ich; d.h. was ist das Substrat des Bewußtseins. Aber auch dann denkt man
unvermerkt das absolute Subjekt, als jenes Substrat anschauend, mit hinzu; man denkt
also unvermerkt gerade dasjenige hinzu, wovon man abstrahiert zu haben vorgab; und
widerspricht sich selbst. Man kann gar nichts denken, ohne sein Ich, als sich seiner selbst
bewußt, mit hinzu zu denken; man kann von seinem Selbstbewußtsein nie abstrahieren;
mithin sind alle Fragen von der obigen Art nicht zu beantworten; denn sie sind, wenn man
sich selbst wohl versteht, nicht aufzuwerfen. (97)
27. Ist das Ich nur, insofern es sich setzt, so ist es auch nur für das setzende, und setzt nur für
das seiende. Das Ich ist für das Ich, setzt es aber sich selbst, schlechthin, so wie es ist, so
setzt es sich notwendig und ist notwendig für das Ich. Ich bin nur für Mich; aber für Mich
bin ich notwendig, (indem ich sage für Mich, setze ich schon mein Sein).
28. Sich selbst setzen und Sein sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich. Der Satz: ich bin, weil
ich mich selbst gesetzt habe, kann demnach auch so ausgerückt werden: Ich bin
schlechthin, weil ich bin.
29. Ferner, das sich setzende Ich, und das seiende Ich sind völlig gleich, Ein und
ebendasselbe. Das Ich ist dasjenige, als was es sich setzt; und es setzt sich als dasjenige,
was es ist. Also: Ich bin schlechthin, was ich bin.
30. Der unmittelbare Ausdruck der jetzt entwickelten Tathandlung wäre folgende Formel: Ich
bin schlechthin, d.i. ich bin schlechthin, weil ich bin; und bin schlechthin, was ich bin;
beides für das Ich.
31. Denkt man sich die Erzählung von dieser Tathandlung an die Spitze einer
Wissenschaftslehre, so müßte sie etwa folgendermaßen ausgedrückt werden: Das Ich setzt
ursprünglich schlechthin sein eigenes Sein.
32. Im Wissen vom Wissen entäußerte das Wissen sich seiner selbst, und stellte sich hin vor
sich selbst, um sich wiederum zu ergreifen. (Darstellung der Wissenschaftslehre, 8)
33. Die meisten Menschen würden leichter dahin zu bringen sein, sich für ein Stück Lava im
Monde als für ein Ich zu halten. (175/326, 27)... Ihr ich in dem Sinne, in welchem sie das
Wort nehmen, d.h. ihre individuelle Person, ist der letzte Zweck ihres Handelns, sonach
auch die Grenze ihres deutlichen Denkens. Dies ist ihnen die einzige wahre Substanz, und
die Vernunft ist davon nur ein Accidenz. Ihre Person ist nicht da, als ein besonderer
Ausdruck der Vernunft; sondern – die Vernunft ist da, um dieser Person durch die Welt
durchzuhelfen, und wenn die letztere sich nur ohne Vernunft ebenso wohl befinden
könnte, so könnten wir die Vernunft entbehren, und es würde gar keine Vernunft geben.
(505)
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34. Ich bin für mich; dies ist Faktum. Nun kann ich mir durch ein Handeln zu Stande
gekommen sein, denn ich bin frei; und nur durch dieses bestimmte Handeln: denn durch
dieses komme ich mir in jedem Augenblicke zu Stande, und durch jedes andere kommt
mir etwas ganz anderes zu Stande. Jenes Handeln ist eben der Begriff des Ich, und der
Begriff des Ich ist der Begriff jenes Handelns, beides ist ganz dasselbe; und es wird unter
jenem Begriff nichts anderes gedacht, und kann nichts anderes gedacht werden, als das
angezeigte. Es ist so, weil ich es so mache. (460)
35. Diese Bemerkung zeigt uns von einer neuen Seite das Geschäft der Wissenschaftslehre.
Sie wird immer fortfahren, Mittelglieder zwischen die Entgegengesetzten einzuschieben;
dadurch aber wird der Widerspruch nicht vollkommen gelöst, sondern nur weiter
hinausgesetzt Wird zwischen die vereinigten Glieder, von denen sich bei näherer
Untersuchung findet, dass sie dennoch nicht vollkommen vereinigt sind, ein neues
Mittelglied eingeschoben, so fällt freilich der zuletzt aufgezeigte Widerspruch weg; aber
um ihn zu lösen, musste man neue Endpunkte annehmen, welche abermals
entgegengesetzt sind, und von neuem vereinigt werden müssen.
Die eigentliche, höchste, alle andere Aufgaben unter sich enthaltende Aufgabe ist die: wie
das Ich auf das Nicht-Ich, oder das Nicht-Ich auf das Ich unmittelbar einwirken könne, da
sie beide einander völlig entgegengesetzt sein sollen. Man schiebt zwischen beide hinein
irgend ein X, auf welches beide wirken, wodurch sie denn auch zugleich mittelbar auf
einander selbst wirken. Bald aber entdeckt man, dass in diesem. X doch auch wieder
irgend ein Punkt sein müsse, in welchem Ich und Nicht-Ich unmittelbar zusammentreffen.
Um dieses zu verhindern, schiebt man zwischen und statt der scharfen Grenze ein neues
Mittelglied = Y ein. Aber es zeigt sich bald, dass in diesem ebenso wie in X ein Punkt
sein müsse, in welchem die beiden entgegengesetzten sich unmittelbar berühren. Und so
würde es ins unendliche fortgehen, wenn nicht durch einen absoluten Machtspruch der
Vernunft, den nicht etwa der Philosoph tut, sondern den er nur aufzeigt - durch den: es
soll, da das Nicht-Ich mit dem Ich auf keine Art sich vereinigen lässt, überhaupt kein
Nicht-Ich sein, der Knoten zwar nicht gelöst, aber zerschnitten würde.
Man kann die Sache noch von einer anderen Seite ansehen. - Insofern das Ich durch das
Nicht- Ich eingeschränkt wird, ist es endlich; an sich aber, so wie es durch seine eigene
absolute Tätigkeit gesetzt wird, ist es unendlich. Dieses beide in ihm, die Unendlichkeit,
und die Endlichkeit sollen vereinigt werden. Aber eine solche Vereinigung ist an sich
unmöglich Lange zwar wird der Streit durch Vermittelung geschlichtet; das unendliche
begrenzt das endliche. Zuletzt aber, da die völlige Unmöglichkeit der gesuchten
Vereinigung sich zeigt, muss die Endlichkeit überhaupt aufgehoben werden; alle
Schranken müssen verschwinden, das unendliche Ich muss, als Eins und als Alles, allein
übrig bleiben.
Setzet in dem fortlaufenden Raume A im Punkte m Licht, und im Punkte n Finsternis: so
muss notwendig, da der Raum stetig, und zwischen m und n kein Hiatus ist, zwischen
beiden Punkten irgendwo ein Punkt vom sein, welcher Licht und Finsternis zugleich ist,
welches sich widerspricht. - Ihr setzet zwischen beide ein Mittelglied, Dämmerung. Sie
gehe von p bis q, so wird in p die Dämmerung mit dem Lichte, und in q mit der Finsternis
grenzen. Aber dadurch habt ihr bloß Aufschub gewonnen; den Widerspruch aber
nichtbefriedigend gelöst. Die Dämmerung ist Mischung des Lichts mit Finsternis. Nun
kann in p das helle Licht mit der Dämmerung nur dadurch grenzen, dass der Punkt p Licht
und Dämmerung, zugleich sei; und da die Dämmerung nur dadurch vom Lichte
unterschieden ist, dass sie auch Finsternis ist; - dass er Licht und Finsternis zugleich sei.
Ebenso im Punkte q. - Mithin ist der Widerspruch gar nicht anders aufzulösen, als
4
7
dadurch: Licht und Finsternis sind überhaupt nicht entgegengesetzt, sondern nur den
Graden nach zu unterscheiden. Finsternis ist bloß eine sehr geringe Quantität Licht. Gerade so verhält es sich zwischen dem Ich, und dem Nicht-Ich.
VI.
Hegel
Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus
...eine Ethik. Da die ganze Metaphysik künftig in die Moral fällt - wovon Kant mit seinen
beiden praktischen Postulaten nur ein Beispiel gegeben, nichts erschöpft hat -, so wird diese
Ethik nichts anderes als ein vollständiges System aller Ideen oder, was dasselbe ist, aller
praktischen Postulate sein. Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als
einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewußten Wesen tritt zugleich eine ganze
Welt - aus dem Nichts hervor - die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus Nichts. - Hier
werde ich auf die Felder der Physik herabsteigen; die Frage ist diese: Wie muß eine Welt für
ein moralisches Wesen beschaffen sein? Ich möchte unserer langsamen, an Experimenten
mühsam schreitenden Physik einmal wieder Flügel geben. So, wenn die Philosophie die
Ideen, die Erfahrung die Data angibt, können wir endlich die Physik im Großen bekommen,
die ich von späteren Zeitaltern erwarte. Es scheint nicht, daß die jetzige Physik einen
schöpferischen Geist, wie der unsrige ist oder sein soll, befriedigen könne.
35. Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk. Die Idee der Menschheit voran, will ich
zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig
als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee.
Wir müssen also auch über den Staat hinaus! - Denn jeder Staat muß freie Menschen als
mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören. Ihr seht
von selbst, daß hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden u.s.w. nur untergeordnete Ideen
einer höheren Idee sind: Zugleich will ich hier die Prinzipien für eine Geschichte der
Menschheit niederlegen und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung,
Regierung, Gesetzgebung bis auf die Haut entblößen. Endlich kommen die Ideen von
einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit, - Umsturz alles Afterglaubens,
Verfolgung des Priestertums, das neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst.
- Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott
noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen.
36. Zuletzt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit, das Wort in höherem
platonischen Sinne genommen. Ich bin nun überzeugt, daß der höchste Akt der Vernunft,
der, indem sie alle Ideen umfaßt, ein ästhetischer Akt ist und daß Wahrheit und Güte nur
in der Schönheit verschwistert sind. Der Philosoph muß ebensoviel ästhetische Kraft
besitzen als der Dichter. Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere
Buchstabenphilosophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man
kann in nichts geistreich sein, selbst über Geschichte kann man nicht geistreich
raisonnieren - ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich den
Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen - und treuherzig genug gestehen, daß ihnen
alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinausgeht.
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37. Die Poesie bekommt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wieder, was sie am
Anfang war - Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte
mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben.
38. Zu gleicher Zeit hören wir so oft, der große Haufen müsse eine sinnliche Religion haben.
Nicht nur der große Haufen, auch der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der Vernunft
und des Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, dies ist's, was wir
bedürfen!
39. Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die, soviel ich weiß, noch in keines
Menschen Sinn gekommen ist - wir müssen eine neue Mythologie haben, diese
Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie muß eine Mythologie der Vernunft
werden.
40. Ehe wir die Ideen ästhetisch, d. h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein
Interesse; und umgekehrt, ehe die Mythologie vernünftig ist, muß sich der Philosoph ihrer
schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die
Mythologie muß philosophisch werden und das Volk vernünftig, und die Philosophie muß
mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige
Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blick, nimmer das blinde Zittern des Volks
vor seinen Weisen und Priestern. Dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte,
des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft wird mehr unterdrückt werden.
Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister! - Ein höherer Geist, vom
Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte, größte
Werk der Menschheit sein.
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
41. Die Philosophie entbehrt des Vorteils, der den anderen Wissenschaften zugute kommt,
ihre Gegenstände als unmittelbar von der Vorstellung zugegeben sowie die Methode des
Erkennens für den Anfang und Fortgang als bereits angenommen voraussetzen zu können.
Sie hat zwar ihre Gegenstände zunächst mit der Religion gemeinschaftlich. Beide haben
die Wahrheit zu ihrem Gegenstände, und zwar im höchsten Sinne – in dem, daß Gott die
Wahrheit und er allein die Wahrheit ist. Beide handeln dann ferner von dem Gebiete des
Endlichen, von der Natur und dem menschlichen Geiste, deren Beziehung auf einander
und auf Gott als auf ihre Wahrheit. Die Philosophie kann daher wohl eine Bekanntschaft
mit ihren Gegenständen, ja sie muß eine solche, wie ohnehin ein Interesse an dieselben
voraussetzen, -- schon darum, weil das Bewußtsein sich der nach Vorstellungen von
Gegenständen früher als Begriffe von denselben macht, der denkende Geist sogar durchs
Vorstellen hindurch und auf dasselbe sich wenden zum denkenden Erkennen und
Begreifen fortgeht...Die Philosophie kann zunächst im allgemeinen als denkende
Betrachtung der Gegenstände bestimmt werden. Wenn es aber richtig ist (und es wird
wohl richtig sein), daß der Mensch durchs Denken sich von Tiere unterschiedet, so ist
alles Menschliche dadurch und allein dadurch menschlich, daß es durch das Denken
bewirkt wird. Indem jedoch die Philosophie eine eigentümliche Weise des Denkens ist,
eine Weise, wodurch es Erkennen und begreifendes Erkennen wird, so wird ihr Denken
auch eine Verschiedenheit haben von dem in allem Menschlichen tätigen, ja die
Menschlichkeit des Menschlichen bewirkenden Denken, so sehr es identisch mit
demselben, an sich nur ein Denken ist. Dieser Unterschied knüpft sich daran, daß der
durchs Denken begründete, menschliche Gehalt des Bewußtseins zunächst nicht in Form
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des Gedankens erscheint, sonder als Gefühl, Anschauung, Vorstellung, -- Formen, die von
dem Denken als Form zu unterscheiden sind....Es ist wichtig, daß die Philosophie darüber
verständigt sei, daß ihr Inhalt kein anderer ist als der im Gebiete des lebendigen Geistes
ursprünglich hervorgebrachte und sich hervorbringende, zur Welt, äußeren und inneren
Welt des Bewußtseins gemachte Gehalt, -- daß ihr Inhalt die Wirklichkeit ist. Das nächste
Bewußtsein dieses Inhalts nennen wir Erfahrung. Eine sinnige Betrachtung der Welt
unterscheidet schon, was von dem weiten Reiche des äußeren und inneren Daseins zur
Erscheinung, vorübergehend und bedeutungslos ist, und was in sich wahrhaft den Namen
der Wirklichkeit verdient. Indem die Philosophie von anderem Bewusstwerden dieses
einen und desselben Gehalts nur nach der Form unterschieden ist, so ist ihre
Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und Erfahrung notwendig. Ja, diese
Übereinstimmung kann für einen wenigstens äußeren Prüfstein der Wahrheit einer
Philosophie angesehen werden, so wie es für den höchsten Endzweck der Wissenschaft
anzusehen ist, durch die Erkenntnis dieser Übereinstimmung die Versöhnung der
selbstbewußten Vernunft mit der seienden Vernunft, mit der Wirklichkeit
hervorzubringen. (47)
42. Das Denken als Subjekt vorgestellt ist Denkendes, und der einfache Ausdruck des
existierenden Subjekts als Denkenden ist Ich.
43. Ich aber, abstrakt als solches, ist die reine Beziehung auf sich selbst, in der vom
Vorstellen, Empfinden, von jedem Zustand wie von jeder Partikularität der Natur, des
Talents, der Erfahrung usf. abstrahiert ist. Ich ist insofern die Existenz der ganz
abstrakten Allgemeinheit, das abstrakt Freie.
Phänomenologie des Geistes
Das Erklären des Verstandes macht zunächst nur die Beschreibung dessen, was das
Selbstbewußtsein ist. Er hebt die im Gesetze vorhandenen, schon rein gewordenen, aber noch
gleichgültigen Unterschiede auf und setzt sie in einer Einheit, der Kraft. Dies Gleichwerden
ist aber ebenso unmittelbar ein Entzweien, denn er hebt die Unterschiede nur dadurch auf und
setzt dadurch das Eins der Kraft, daß er einen neuen Unterschied macht, von Gesetz und
Kraft, der aber zugleich kein Unterschied ist; und hierzu, daß dieser Unterschied ebenso kein
Unterschied ist, geht er selbst darin fort, daß er diesen Unterschied wieder aufhebt, indem er
die Kraft ebenso beschaffen sein läßt als das Gesetz. - Diese Bewegung oder Notwendigkeit
ist aber so noch Notwendigkeit und Bewegung des Verstandes, oder sie als solche ist nicht
sein Gegenstand, sondern er hat in ihr positive und negative Elektrizität, Entfernung,
Geschwindigkeit, Anziehungskraft und tausend andere Dinge zu Gegenständen, welche den
Inhalt der Momente der Bewegung ausmachen. In dem Erklären ist eben darum so viele
Selbstbefriedigung, weil das Bewußtsein dabei, [um] es so auszudrücken, in unmittelbarem
Selbstgespräche mit sich, nur sich selbst genießt, dabei zwar etwas anderes zu treiben scheint,
aber in der Tat sich nur mit sich selbst herumtreibt.
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